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Kultur: Die Ordnung der Dinge

Wir sind umgeben von Dingen, jener unsichtbaren Materie, die uns im Stillen beherrscht, während wir sie zu beherrschen glauben. Und doch verschwinden die Dinge fast im Rauschen des Alltags.

Wir sind umgeben von Dingen, jener unsichtbaren Materie, die uns im Stillen beherrscht, während wir sie zu beherrschen glauben. Und doch verschwinden die Dinge fast im Rauschen des Alltags. Auch das Berliner Werkbund-Archiv, das einmal Museum der Alltagskultur hieß und sich dieser unsichtbaren Materie widmete, war die längste Zeit über nahezu unsichtbar wie der graue Alltag. 1973 aus der Designergilde des Werkbundes entstanden, hatte das Archiv kaum öffentliche Präsenz. Und auch als dem Archiv 1986 endlich Räume im Obergeschoß des Martin-Gropius-Baus bereitgestellt wurden, dämmerte das Archiv der Dinggeschichte eher im Dachstuhl vor sich hin, als daß es einen festen Platz im öffentlichen Bewußtsein innehatte. Es machte den liebenswerten Charme des Museums aus, daß es ein wenig wie ein verstaubter Speicher wirkte, den man selten genug betrat, um sich von der nostalgischen Aura der alten Gegenstände verzaubern zu lassen.

Dementsprechend glücklich ist man nun, daß alle Nostalgie der Vergangenheit angehört. Nach eineinhalb Jahren der umbaubedingten Schließung eröffnet das Werkbund-Archiv seine Räume jetzt neu. Es ist wirklich fast alles neu im neuen Werkbund-Archiv: Die Räume sind im Zuge der Umbauten im Haus renoviert, das Museum hat eine eigene Treppe bekommen und neue Räume. Das Museum wurde gründlich aus seinem Dornröschenschlaf geweckt - auch wenn man bis zur endgültigen Entscheidung über die Zukunft des Gropius-Baus keine Sicherheit über die Dauer des Wachens hat.

Die wichtigste Veränderung betrifft jedoch Ausrichtung und Konzept des Museums. Denn nicht nur die Räumlichkeiten, auch die Präsentationsform des Museums wurde facegeliftet. Dafür steht programmatisch der neue Name des Werkbund-Archivs: Es nennt sich nun nicht mehr Museum der Alltagskultur, sondern Museum der Dinge. Das neugewidmete Museum der Dinge fühlt sich weniger der nostalgischen Nachstellung eines vergangenen Lebens verpflichtet - also einer Fiktion -, sondern der Ästhetik des Dings im allgemeinen. Diese versucht es durch ein neues Konzept zu vermitteln. Dieses Konzept ist in der Logik und Stringenz seiner Durchführung nicht nur einzigartig innovativ im Berliner Raum. Es entspricht durchaus dem state of the art der internationalen Forschung. Das Museum der Dinge ist, was sein museumspädagogisches Konzept anbelangt, eines der ersten Häuser am Platz.

Um sich die Entschiedenheit der Neuorientierung deutlich zu machen, muß man sich vor Augen führen, daß der Werkbund seit seiner Gründung 1907 immer wieder als ästhetische Polizei auftrat: Eine Academie Française des Designs, entschieden die Hohepriester der industriellen Form, was brauchbar ist und was nicht. Von dieser normierenden Funktion war auch das Museum des Werkbund-Archivs betroffen. Zuweilen wirkten seine Ausstellungen wie das ausführende Organ einer ästhetischen Norm.

Von der Funktion des Museums als normierende Anstalt hat sich das Werkbund-Archiv nun am weitesten distanziert. Es hat die eindimensionale Diskussion um diese oder jene ästhetische Norm eingetauscht gegen die komplexe Erforschung der komplizierten Struktur des Dings. Das Museum der Dinge taucht ein in das feine Gewebe der Dingwelt, die keineswegs nur aus materiellen Tatsachen besteht. In acht eindrucksvollen Bildern demonstriert das Museum, daß das, was wir "Ding" nennen und mit dem wir täglich umgehen, ein subtiles Zusammenspiel von abstrakter und gegenständlicher Welt, von Name und Gegenstand, Code und Ware ist. Die Dinge werden in der ersten Ausstellung behandelt wie Medien der Kommunikation.

Dabei ist es die Kunst der Ausstellung, daß sie diesen Anschluß an die philosophische Diskussion um das Ding - nach dessen Status schon Heidegger und Benjamin fragten, Baudrillard und Vlusser - ganz direkt erfahrbar macht. So entsteht statt einer Ausstellung, die dem Fetischcharakter des Dings huldigt, von dem Walter Benjamin gesprochen hatte, eine Archäologie der Warenwelt im Foucaultschen Sinne. Und die Erforschung der "Ordnung der Dinge" ist im besten Sinne modern. Es ist ein großes Glück, daß dieses Haus in seinem Dachstuhl bleiben durfte. Es bleibt ihm zu wünschen, daß nun die Besucher es aus seinem Dornröschenschlaf wecken.

Museum der Dinge, Niederkirchnerstr. 7, bis 3. 10.; Die. bis So. 10-20 Uhr. Katalog 48 DM.

KNUT EBELING

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