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Kultur: Die Patriotin

Zum 80. Geburtstag der Schriftstellerin Nadine Gordimer

Wenn sie heute nach dem Leben in Johannesburg gefragt werde, schrieb Nadine Gordimer über die ersten Jahre südafrikanischer Freiheit, richte sich das Interesse der europäischen Journalisten immer auf das Schicksal der Weißen. Ganz selbstverständlich gingen die Fragenden davon aus, dass sie, die weiße Schriftstellerin, sich mit den weißen Südafrikanern, deren Privilegien nun bedroht sind, identifiziere. Dass die Schwarzen vor ganz ähnlichen, vielleicht schwierigeren Herausforderungen stünden, käme den von den kolonialen Prioritäten geprägten Europäern gar nicht in den Sinn, und am wenigsten, dass mit der südafrikanischen Befreiungsbewegung auch sie als Weiße gewonnen habe: Sie könne heute von „unserem Land“ sprechen, ohne dabei immer gegen das offizielle Gebilde, das der südafrikanische Apartheidsstaat war, anrennen zu müssen.

Nicht Weiße, nicht Schwarze, sondern Afrikanerin unter Afrikanern, so wollte sie immer leben. Fast 70 Jahre hat sie darauf warten müssen. Dass es so unendlich lange gedauert hat und am Ende nur gewaltsam zu erreichen war, dafür macht sie die liberale Schicht der Weißen mitverantwortlich, ihre Unentschiedenheit und ihren Dünkel. Zwischen südafrikanischer Bourgeoisie und schwarzer Mehrheit zerrissen und zerrieben, ist sie in den Romanen und Erzählungen der Literaturnobelpreisträgerin literaturfähig geworden, neben den Schwarzen, denen Gordimer sehr früh eine Stimme gab.

Sie kannte, wovon sie schrieb, aus nächster Nähe. Als Tochter eines litauischen Juden und einer Engländerin jüdischer Abstammung, in der Enge kleinbürgerlichen Strebens, hatte sie frühzeitig die entlastende Caritas gegenüber den Schwarzen verachten gelernt. Abgeschirmt und doch in unmittelbarer Nachbarschaft der schwarzen Townships lebend, ist es das komplizierte Verhältnis zwischen liberalen Weißen und unterdrückten Schwarzen, das Nadine Gordimer literarisch in Bann schlug. Dabei diktierte ihr, wie sie einmal sagte, der Stoff die Perspektive: „Ich habe unter Schwierigkeiten gelernt, dass jedes Thema eine Geschichte braucht, und jede Geschichte verlangt ihr eigene, einzig richtige Erzählform.“

Gordimer hat sie in ihrem umfangreichen Werk in jeder denkbaren Weise durchdekliniert. Obwohl sie immer politisch aktiv war und 1990 sogar dem ANC beitrat, verstand sich die Autorin nie als Politikerin, sondern als Künstlerin, die dem „Mysterium des Lebens“ nachspürt. Das Ende des Apartheid-Regimes hat Südafrika zwar freier gemacht, aber nicht gewaltfrei. In ihrem Roman „Die Hauswaffe“ (deutsch 1998) geht es um eine radikale Neudefinition von Gewalt. Die Tatsache, dass Südafrika die höchste Kriminalitätsrate der Welt hat, akzeptiert Gordimer nicht als Argument gegen die Freiheit.

Wer das Wort für die Wahrheit einzusetzen weiß, so wie wir es verstehen, schrieb sie an die von der Fatwa bedrohte Taslima Nasrin 1994, gehe immer das Risiko der Verfolgung ein. Heute wird Nadine Gordimer 80 Jahre alt.

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