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Kultur: Die privaten Piraten

So sieht ein schizophrenes Szenario aus: In der Öffentlichkeit kleidet man sich züchtig und versucht, keinen Anstoß zu erregen. In den eigenen vier Wänden aber gibt es Techno, Alkohol und was sonst noch der Bewusstseinserweiterung dient.

So sieht ein schizophrenes Szenario aus: In der Öffentlichkeit kleidet man sich züchtig und versucht, keinen Anstoß zu erregen. In den eigenen vier Wänden aber gibt es Techno, Alkohol und was sonst noch der Bewusstseinserweiterung dient. Die Rede ist vom Iran. Selbst Oppositionelle, die seit Jahren im Ausland leben, beklagen oft die Verzerrung ihrer heimatlichen Verhältnisse in westlichen Medien. Natürlich gibt es in der sogenannten Islamischen Republik Iran einen Wächterrat und einen Präsidenten, der vor Fernsehkameras antisemitische Hetzparolen verbreitet. Und es gibt das atomare Begehren, das Angst macht.

Was es allerdings auch gibt, sind widerständige Milieus, Liberalisierungsbestrebungen und zahlreiche interne Konfliktlinien der iranischen Gesellschaft. Die müsse man nutzen (und erst einmal kennen), meint Bahman Nirumand , der selbst aus dem Iran emigrierte, seit langem in Deutschland lebt und mit seinem „Persien“-Buch von 1967 zum Kanon der Studentenbewegung gehörte. Mit „Iran. Die drohende Katastrophe“ (Kiepenheuer & Witsch) kommt er heute in den Buchhändlerkeller (Carmerstr.1, Charlottenburg, 20.30 Uhr).

Eine Spannung zwischen (Alltags-)Kultur und Politik gibt es allerdings nicht nur im Iran. Wolf Lepenies , Soziologe und Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels, hält das Problem für eine deutsche Konstante der letzten zweihundert Jahre. Seit der Weimarer Klassik, so Lepenies, gelte Kultur in Deutschland mehr als Politik, habe Traum und Romantik stets Vorrang vor Pragmatismus und Aufklärung gehabt. Mit ästhetischen Argumenten wappne man sich gegen ethisches Versagen. Denkt man an Thomas Mann oder Gottfried Benn, klingt diese Großthese aus „Kultur und Politik“ (Hanser) plausibel. Wie aber steht es mit Büchner, Forster oder Börne? Das könnte man Lepenies fragen, wenn er am 29.10. bei der 11-Uhr-Matinee in den Kammerspielen des Deutschen Theaters (Schumannstr.13a, Mitte) sein Deutschland-Buch vorstellt – das sich übrigens wohltuend von manch neupatriotischer Normalisierungsprosa absetzt.

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