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Kultur: Die Provokation

Warum Michel Friedman als Moderator so gut war – und warum er es sein durfte. Anatomie eines Neurosenverhältnisses

Von

Harald Martenstein

Es gibt noch keine Normalität im Umgang zwischen jüdischen und nichtjüdischen Deutschen – davon zeugt allein schon ein politisch korrektes Wortungetüm wie „nichtjüdische Deutsche“. Was es gibt, sind guter Wille, Beklommenheit, Hemmungen, Vorurteile, Misstrauen, Illusionen, alles Mögliche, nur keine Unbefangenheit.

Kurz bevor die Affäre Friedman begann, behandelte ein Text von Salomon Korn in der „Zeit“ dieses Thema. Korn beschreibt, wie es ihm auf die Nerven geht, von Deutschen immer wieder auf Israel angesprochen zu werden, „seinen“ Staat. Er ist ja selber Deutscher und kein Israeli, nur eben Jude. Korn schreibt, dass er inzwischen gelassener reagiere als früher, da die Leute, die ihn so ansprechen, es in der Regel sogar freundlich meinen. Sie sind eher ahnungslos als böse. Korns Fazit: Es ist besser, hin und wieder etwas Falsches zu sagen, als sich gegenseitig beklommen anzuschweigen.

In der Affäre Friedman wird nun wieder das volle deutsch-jüdische Neurosen-Programm gefahren. Einerseits gibt es natürlich die Antisemiten, die ihr Glück über die Affäre Friedman kaum fassen können. Es ist eine Minderheit, aber man spürt sie. Andererseits gibt es diejenigen, die in der ganzen Sache eine antisemitische Konstruktion oder gar Verschwörung wittern, wie Robin Detje in der „Zeit“ und Bernd Lunkewitz in der „Berliner Zeitung“. Vielleicht ist es ja so. Aber kennen wir wirklich schon alle Fakten?

Nein. Was wir alle im Moment zur Urteilsbildung zur Verfügung haben, sind nur unsere Vorurteile. Und wer, wenn in Deutschland ein Jude irgendeines Vergehens beschuldigt wird, reflexartig „Verschwörung! Antisemitismus!“ ruft, der hat natürlich ebenfalls ein kleines Vorurteilsproblem. Die jüdischen Deutschen nervt es, wenn man sie dauernd mit den Israelis verwechselt. Die nichtjüdischen Deutschen nervt es, wenn man sie dauernd mit den Nazis verwechselt. Bei jedem von ihnen, so das Vorurteil, kommt irgendwann der Rassist und Antisemit zum Vorschein, man muss nur lange genug bohren. Es ist ein Grundmisstrauen. Vielleicht eine Art antideutscher Rassismus, warum nicht.

Weil es aber für die meisten Deutschen eine denkbar schlimme Vorstellung ist, für einen Antisemiten gehalten zu werden – das härteste Tabu, zu Recht! – , sagen sie in kniffligen Situationen lieber gar nichts. Mag ich zum Beispiel Friedman wirklich nur deswegen nicht, weil er so arrogant und überheblich auftritt? Oder hat es womöglich doch etwas damit zu tun, dass er Jude ist?

Für solche Fälle, in denen die nichtjüdischen Deutschen Angst davor haben, dass die antideutschen Vorurteile stimmen könnten, gibt es eine Gruppe von Spezialisten. Der Autor Rafael Seligman nennt diesen Personenkreis „Musterjuden“ und hat diesem Phänomen sogar einen Roman gewidmet. Es sind Leute, die dezidiert als öffentliche Juden auftreten. Sie heißen Broder, Biller, Wolffsohn, Friedman, Seligman und so weiter. Wenn es darum geht, zu einem jüdischen Thema etwas zu sagen, einen anderen Juden zu kritisieren oder die Grenzen der politischen Korrektheit zu testen, dann ruft man in den Redaktionen gern einen von ihnen an. Oft ist es in Deutschland ein Nachteil, wenn man (vermeintlich) ein bisschen anders ist. In diesem Fall ist es erwünscht. Die Spezialisten haben die richtige Aura. Sie können darum keine Rassisten oder Antisemiten sein. Deswegen haben sie viel Spielraum für Frechheit, für einen aggressiven Ton, für provokative oder radikale Thesen. Ihre Herkunft ist gut, deshalb darf ihr Ton ruhig böse sein. Man mag es sogar, wenn sie „die Deutschen“ ein bisschen beschimpfen. Eine Prise Masochismus gehört zur modernen deutschen Identität ja dazu.

Der „Musterjude“ ist das erste intellektuelle Produkt der gemeinsamen deutsch-jüdischen Nachkriegsgeschichte, ein bizarres Produkt, zugegeben, aber immerhin, es gibt eines. Michel Friedman hat die Rolle des öffentlichen Juden ganz offiziell gespielt, als Moderator und gleichzeitiges Mitglied im Zentralrat. Friedman hat die Distanz zum Prinzip seiner Existenz gemacht. Er biederte sich nicht an, sondern schien bei jedem Auftritt zu fragen: Haltet ihr mich aus? Oder mögt ihr, wie von jüdischen Autoren manchmal über die Philosemiten gesagt wird, in Wirklichkeit nur die toten Juden, und natürlich die Klezmermusik?

Friedman nutzte die Tabuzone, die ihn umgab, diesen Moral-Bonus, um als Moderator härter und hartnäckiger zu fragen als andere. These: Ein nichtjüdischer Moderator hätte es schwerer gehabt, so zu sein wie er.

Egal, was man von Friedman persönlich halten mag, egal, wie die Affäre ausgeht, egal, ob er manchmal mit seinen Fragen zu weit ging – es war gut. Es war genau so, wie kritischer Journalismus im Fernsehen sein sollte. Es würde fehlen. Man sieht daran aber auch, wie alles drei zusammenhängt – Michel Friedmans Existenz als Moderator, als Jude, der wegen seines Moralbonus größere Freiheiten genießt, und als Gegenstand einer Affäre, in der es um Moral geht, also um die Basis dieser Existenz. Ist es nicht irre?

Ist es nicht irre und ein Zeichen von praktizierter Anomalität, dass es in unserem Kulturbetrieb einen Moral-Bonus gibt und demnach auch einen Moral-Malus, obwohl es doch, wie jeder weiß, keine besseren oder schlechteren Menschenarten gibt, obwohl niemand ein Täter-Gen oder ein Opfer-Gen in sich trägt? Es wäre wohl irre, falls man wirklich Friedman mit der spezifischen Friedman-Aura sein müsste, um in Deutschland eine harte, kritische, bei Politikern gefürchtete Sendung zu machen.

Wenn es Normalität gäbe, schreibt Salomon Korn, wäre es gleichgültig, ob eine Aussage von einem Juden oder Nichtjuden getroffen wird. „Nichtjuden würden dann andererseits auch keine Juden mehr brauchen, damit sie bestimmte eigene öffentliche Aussagen oder Aktionen mit ihrer ,jüdischen Autorität’ absichern. Es würden sich dafür auch keine Juden mehr hergeben.“ In dem Moment, in dem man ihn zustimmend zitiert, tut man natürlich genau das, was man nicht tun sollte.

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