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Gestatten, Bestattung. Jessica Mitford demonstrierte gerne, wie Bestatter die Gesichtszüge von Toten zurechtrücken.

© aus dem besprochenen Band, (c) Constancia Romilly und Benjamin Treuhaft

Zeitung im Salon am 20. November: Die Rebellin aus der Upper Class

Die eine war Kommunistin, die andere Faschistin, jede ging ihren eigenen Weg: Susanne Kippenberger stellt im Tagesspiegel-Salon ihr Buch über die exzentrischen Mitford Sisters vor.

Als Jessica Mitford von zu Hause ausriss, um mit ihrem Liebhaber in den spanischen Bürgerkrieg zu ziehen, da schickte der englische Verteidigungsminister persönlich ein Telegramm nach Bilbao: „DRINGEND. MISS JESSICA MITFORD MUSS SOFORT ZURÜCK. SCHICKE ZERSTÖRER.“

Bei einer gewöhnlichen Tochter des englischen Volkes hätte Verteidigungsminister Anthony Eden wohl kaum derart drastische Maßnahmen erwogen. Aber Jessica Mitford war keine gewöhnliche Engländerin. Die 19-Jährige, die kurz zuvor noch als Debütantin durch die Ballsäle Londons geschwebt war, war Mitglied einer englischen Adelsfamilie, ihre Eltern durften sich Lord und Lady Redesdale nennen. „Adelige Tochter brennt nach Spanien durch“, titelte der „Daily Express“ am 1.März 1937. Skandal!

Jessica war Kommunistin, Unity Nationalsozialistin

In ihrer Familie war Jessica nicht die Einzige, die gesellschaftliche Aufmerksamkeit auf sich zog. Ihre ältere Schwester Diana war Geliebte des englischen Faschistenführers Sir Oswald Mosley. Eine weitere Schwester, Unity, begeisterte sich für die deutschen Nationalsozialisten und erkämpfte sich direkten Zugang zu Adolf Hitler. Sechs Schwestern waren es insgesamt, der einzige Bruder starb jung, und jede Schwester ging ihren ganz eigenen Weg. Unnötig zu sagen, dass auch das Telegramm des Verteidigungsministers Jessica Mitford nicht von ihren Plänen abbringen konnte – sie kehrte nie wieder in ihr altes Leben als höhere Tochter zurück, sondern wurde Journalistin und Buchautorin in den USA. Rauchte Kette und blieb bis zum Ende Kommunistin.

Die Familie Mitford ist noch heute in Großbritannien und den USA sehr bekannt. Tagesspiegel-Redakteurin Susanne Kippenberger, im „Sonntag“ unter anderem für die Seite Essen und Trinken zuständig, hat sich schon vor Jahren von den eigenwilligen Schwestern faszinieren lassen und nun ein Buch über sie geschrieben (erschienen bei Hanser Berlin, 594 Seiten, 26 Euro). Am 20. November stellt sie „Das rote Schaf der Familie. Jessica Mitford und ihre Schwestern“ im Tagesspiegel-Salon vor, Björn Rosen vom „Sonntag“ moderiert.

Es ist Susanne Kippenbergers drittes Buch nach der Biografie ihres Bruders Martin Kippenberger (2007) und „Am Tisch. Die kulinarische Bohème oder die Entdeckung der Lebenslust“ (2009). Wenn sie über die unkonventionelle Kindheit der Mitford-Schwestern schreibt, fühlt man sich an die Schilderungen ihrer eigenen Familie in „Martin Kippenberger. Der Künstler und seine Familien“ erinnert. Auch im Hause Kippenberger gab es viele Kinder, viel Leben, einen Hauch von Villa Kunterbunt. „Aber wir sind immerhin zur Schule gegangen!“, betont Susanne Kippenberger mit einem Lachen – Mutter Mitford dagegen hielt Schulbildung für Mädchen für unnötig. Die wissbegierige Jessica ärgerte sich maßlos darüber und sparte schon als Kind fürs Ausreißen. Sie eröffnete sogar ein offizielles „Weglauf-Konto“ bei der Bank.

Erinnert an Miss Marple

Jessica, genannt „Decca“, die Kommunistin, Unity, die Nationalsozialistin – zu den vielen Absonderlichkeiten in der Familiengeschichte zählt, dass sich diese beiden Schwestern besonders gut vertrugen. Sie teilten zeitweise ein Zimmer, das zur Hälfte mit kommunistischer, zur Hälfte mit faschistischer Propaganda gefüllt war. Susanne Kippenberger erzählt die Geschichte aller sechs Mitford-Schwestern und des einen Bruders, aber es ist ganz klar, wem ihre Sympathie gehört: der rebellischen, exzentrischen, komischen Jessica. Die bis ins Alter oft unterschätzt wurde, denn sie wirkte, wie auf Youtube-Videos zu sehen ist, mit ihrer zarten Haut, ihren rosigen Wangen und dem liebenswürdigen Lächeln wie eine freundliche Oma aus dem Märchen. Aber wie viel Angriffslust, wie viel scharfer Witz steckten dahinter! 

„Sie hat mich immer an Miss Marple erinnert“, sagt Susanne Kippenberger. Da passt es, dass Jessica Mitfords berühmtestes Buch ausgerechnet den Tod zum Thema hatte, genauer: das damals sehr pompöse Bestattungswesen in den USA. „The American Way of Death“ hieß das Werk, das die Art, wie Amerikaner ihre Toten beerdigten, veränderte. Jessica Mitford selbst starb 1996, und eines hat sie in all den Wirren ihres Lebens niemals verloren: ihren Humor und den Upper-Class-Akzent.

BUCHVERLOSUNG

Wir verlosen Exemplare des Buchs. Teilnahme unter www.tagesspiegel.de/gewinnen mit dem Stichwort „Salon“ oder per Postkarte an Der Tagesspiegel, Askanischer Platz 3, 10963 Berlin bis zum 25.10.

Zeitung im Salon mit Susanne Kippenberger, 20. November, 19.30 Uhr, Eintritt 20 Euro inkl. Sekt und Zwei-Gang-Menü, Anmeldung und Infos hier.

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