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Kultur: Die Runde muss ins Eckige

Wie der iPod den Pop verändert – und die Charts als die Mutter aller Listen

Pop schläft nie. Immer muss er reagieren. Auf alles und jeden. Vor allem auf die Technik. Pop hängt immer am Tropf der Technik. Egal, ob die Erfindung der E-Gitarre, der CD oder des Computers: Jedes Mal hat es den Pop als Musik und als Kultur verändert. Jetzt sind es MP3-Datei und iPod. 20 000 Songs auf 103,5 mal 61,8 Millimetern. Federleicht mit 157 Gramm in schickem Schwarz, knalligem Grün, unschuldigem Weiß oder edlem Metallic. Pop sieht eben immer auch gut aus. Und der iPod hat seinen Nachfolger schon im Nacken: das nun von Apple angekündigte iPhone, eine multifunktionale Kreuzung aus MP 3-Player, Mini-Computer und Handy. Im Herbst soll das Gerät mit in Deutschland auf den Markt kommen. Die Digitalisierung der Musikkultur und des Pop tritt damit in eine neue Phase ein. „Bald werden wir Musik sicher mit einem Handyvertrag kaufen“, vermutet Christof Ellinghaus, Geschäftsführer der Berliner Plattenfirma City Slang. Zukunftsmusik statt Klingeltöne.

Schon heute sind die kleinen digitalen Multimediaspielgeräte nicht mehr aus dem Stadtbild wegzudenken. In jedem Bus, jedem Zug und jedem Café sieht man Menschen, denen weiße Stöpsel im Ohr hängen. Selbst US-Präsident George Bush besitzt einen iPod. Zu Hause wird dieser dann auf die eigens dafür vorgesehene Konsole gesteckt. Das flache Kästchen mit dem modischen Touch Pad ist dank seiner enormen Speicherkapazität zugleich Stereoanlage und CD-Regal – beides wird wohl über kurz oder lang aus den Wohnzimmern dieser Welt verschwinden.

Auch das Neusortieren der Plattensammlung als therapeutische Maßnahme, wie es Nick Hornbys Romanheld Rob in „High Fidelity“ immer wieder praktiziert hat, ist ein Relikt vergangener Tage. Denn längst ist die Musik selbst transportabel, entmaterialisiert und virtuell. Haptisch ist nur noch der winzige Player. Und den wollen immer mehr Leute haben. „Wir haben die Marke von weltweit 30 Millionen verkauften iPods 2006 deutlich überschritten“, sagt Georg Albrecht, Sprecher von Apple Deutschland. Seit Einführung des iPod wurden 70 Millionen Geräte verkauft.

Nur, womit werden iPod und iPhone gefüttert? Mit Alben oder Singles? Und woher bezieht der gemeine MP3-PlayerBesitzer seinen Stoff? Die heimische CD-Sammlung mag eine Quelle sein. Aber eine versiegende. Immer wichtiger wird das Internet, das mit Downloadportalen einen umstürzenden Markt eröffnet. Viele davon sind wild wuchernde Tauschbörsen, auf denen Musik – zum Entsetzen der Industrie – gratis zirkuliert. Aber die Zahl der legalen Singledownloads nahm 2006 in Deutschland sprunghaft zu: 25,9 Millionen Einzelsongs wurden kostenpflichtig heruntergeladen – ein Plus von 48 Prozent (2005: 17,5 Millionen). Musicload und iTunes sind mit etwa 15 Millionen Songs Marktführer. Das Geschäft mit physischen Tonträgern scheint keine Perspektive zu haben. Auch 2006 ging der CD-Verkauf zurück – um 3,3 Prozent.

Obwohl sich der Handel mit Musik sukzessive ins Internet verlagert, hält die Branche hartnäckig am alten Tonträger- modell fest und sträubt sich dagegen, der Entstehung eines eigenständigen Markts Rechnung zu tragen. So werden Downloads in Deutschland zwar bei den Platzierungen berücksichtigt, allerdings nur bei jenen Liedern, die es auch auf einem physischen Tonträger zu kaufen gibt. Aber die wachsende Zahl an Bands, die in Clubs und Internetradios gespielt werden und ihre Musik nur noch als Download vertreiben, taucht in den Charts nicht auf.

In England hat man nun auf diesen Trend reagiert. Auch im Mutterland des Pop ist die Zahl der legalen Single- Downloads exorbitant gestiegen: von 5,1 Millionen 2004 auf 51,6 Millionen im Jahr 2006. Seit Anfang dieses Jahres werden nun nicht mehr nur die Verkaufszahlen der CDs berücksichtigt, sondern auch Songs, die ausschließlich im Internet heruntergeladen werden können und nicht oder nicht mehr als CD erhältlich sind. Auf diese Weise können auch Musiker wie Lily Allen oder Bands wie Snow Patrol, die ihre Musik zumindest am Anfang ihrer Karriere nur im Internet zum Download angeboten hatten, in den Charts auftauchen. Snow Patrol stiegen mit ihrer Single „Cashing Cars“ direkt nach der Chartreform in England wieder neu in die Top 10 ein. Zwar ist ihre Single schon Monate alt, aber im Netz ist sie noch ein beliebtes Gut. Auch Lieder, die schon mehrere Jahre alt , aber nicht mehr als Single erhältlich sind, tauchen im Index nun wieder auf – und finden einen Platz im offiziellen Popkanon.

Die Hitparade ist die Mutter aller Listen. In Großbritannien soll sie nun wieder ehrlicher werden. Doch hierzulande heißt es: „Wir beobachten den deutschen Markt und die Entwicklung in England, dann entscheiden wir, was wir machen.“ Das sagt Johann-Friedrich Brockdorff vom Bundesverband der fonographischen Wirtschaft. Auch Edgar Berger, Chef von Sony-BMG Deutschland, ist skeptisch: „In England erfolgen 80 Prozent aller Singleverkäufe als Download, bei uns sind es nur 50 Prozent. Erst wenn sich der Single-Download als führendes Format in Deutschland durchgesetzt hat, werden wir eine Chartreform durchführen, die die digitale Veröffentlichung uneingeschränkt chartfähig macht.“

Bei so viel Schwerfälligkeit verlieren die Charts den Ruf, das Trendbarometer der Musiklandschaft zu sein. Die wirklichen Trends werden längst jenseits der CD-Regale gemacht. Vielmehr nutzen gerade junge Bands eine Internetplattform wie Myspace als Sprungbrett, auf dem sie ohne größere Kosten ihre Musik als Download anbieten können – im Selbstverlag. Eine weitere Facette der Digitalisierung. „Vielleicht wird es bald so sein, dass gar keine Plattenfirmen mehr nötig sind, sondern nur noch Orientierungshilfen im Netz, die Empfehlungen abgeben“, sagt Ellinghausen, dem Bands wie Wir sind Helden ihren Erfolg verdanken. Auch die Arctic Monkeys stehen für diese Eigendynamik. Nachdem das Quartett aus Sheffield seine Musik über das Internet zu vertreiben begann, verbreitete sich ihr Ruf wie ein digitales Lauffeuer. Ein Hype war geboren. In den Charts schlug sich das erst nieder, als ihr Debütalbum „Whatever People Say I Am, That’s What I Am Not“ regulär auf CD erschien.

Doch auch das könnte bald vorbei sein. Denn dem Album als klassischem Format droht durch die Digitalisierung und Entmaterialisierung der Musik ein rapider Bedeutungsverlust. Das Album als Gesamtkunstwerk mit Booklet, Cover, Hülle und seinem rotierenden Herzstück bleibt auf der Strecke. „Vermutlich werden Bands bald nicht mehr ins Studio gehen, um ein Album aufzunehmen, sondern nur für zwei, drei neue Songs, die sie über das Internet vertreiben“, sagt Ellinghaus. Schließlich sind Songs der Nachschub für den hungrigen iPod. Sie – und nicht das Album – bestimmen das Leben des digitalen Spielers. Dessen hohe Entstehungskosten werden über OnlineVerkäufe nicht aufgefangen. „Alben werden nur ganz selten heruntergeladen“, sagt Martin Frommhold von Musicload. Das Werk lebt als zerpflücktes Songpuzzle weiter, aus dem die Hits herausgepickt werden. Sony-Chef Berger weiß: „Wir müssen den Album-Download attraktiver machen.“

Letztlich wäre das aber nur ein kleines digitales Zugeständnis an den Liebhaber. Das Album als Produktionsformat wird der Geschichte angehören. Einer Geschichte, die mit der Schellackplatte aus Berlin begann. Drei Minuten Musik auf einer dicken Scheibe. Es folgten die Vinyl-Single mit vier Minuten pro Seite, die LP mit 40 Minuten und schließlich die CD, die nur noch eine Seite hat, darauf aber 74 Minuten bannen kann – der erste digitale Quantensprung. Sie war das perfekte Medium für Alben.

Der iPod ist anders. Er sprengt alle zeitlichen Grenzen und Raster. Zurzeit besticht das Gerät vor allem als tragbares Archiv. Aber wer weiß, vielleicht wird es bald Musiker geben, die sich von den tradierten Längenbeschränkungen befreien. Auch Songs, die eine Stunde dauern, können interessant sein.

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