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Kultur: Die S-Klasse

Harald Martenstein beobachtet das deutsche Feuilleton in Halle Menschen, die eine Weile im Feuilleton der „FAZ“ gearbeitet haben, sehen sich ähnlich. Sie haben einen bestimmten Redestil, sie tragen die gleiche Kleidung, haben den gleichen Gang.

Harald Martenstein beobachtet

das deutsche Feuilleton in Halle

Menschen, die eine Weile im Feuilleton der „FAZ“ gearbeitet haben, sehen sich ähnlich. Sie haben einen bestimmten Redestil, sie tragen die gleiche Kleidung, haben den gleichen Gang. Die Beschäftigung im Feuilleton der „FAZ“ besitzt eine ähnlich lebenslang prägende Wirkung wie, sagen wir, die Teilnahme an einem Weltkrieg. Mitte der 80er Jahre sammelte sich dort eine Gruppe von elitebewussten jungen Männern rund um Frank Schirrmacher. Sie wollten die Diskursherrschaft in Deutschland erobern und die 68er geistig besiegen.

Irgendwann gab es Streit mit dem Häuptling, die Gruppe zerstreute sich über die Feuilletons der Republik, einige haben Schlüsselpositionen inne. Nun versammelten sie sich in Halle zu einer Art Klassentreffen, gefördert von der Kulturstiftung des Bundes, verkleidet als eine Tagung über die „Zukunft der kritischen Öffentlichkeit in Deutschland“. Thomas Steinfeld, der Organisator, arbeitet inzwischen bei der „Süddeutschen“. Die Wortführer des PopFeuilletons, der anderen Denkschule neben der FAZ, waren nicht da. Die Köpfe der „Berliner Seiten“ der FAZ, wo Schirrmacher in den 90ern ein zweites Mal eine junge Truppe geschmiedet hatte, waren nicht da. Die Alten aus der Vor-Schirrmacher-Zeit waren nicht da. Schirrmacher selber war auch nicht da. Als Teilnehmer für das Treffen war qualifiziert, wer in dem Ruf steht, kein Freund des Mannes zu sein, der das deutsche Feuilleton in den letzten Jahren am stärksten geprägt hat. Ausnahme: der aktuelle „FAZ“-Feuilletonchef, der seinen Herausgeber Schirrmacher verteidigte. Das war selten nötig, denn alle versuchten, über ihn zu sprechen, ohne den Namen in den Mund zu nehmen.

Folgende Auswege aus der ökonomischen Krise der deutschen Zeitungen wurden angeboten: Man solle die Layouter zum Teufel jagen. Man solle keine Bilder mehr drucken, nur Text. Man solle aufhören, sich im Feuilleton zu Politik und Alltag zu äußern, sondern sich nur noch um die Künste kümmern. Man solle aufhören, Debatten zu führen. Man solle aufhören, lustige Überschriften machen zu wollen. Man solle aufhören, dauernd an die Leser zu denken. Die Dinge sollen, in einem Wort, wieder ungefähr so sein, wie sie waren, bevor Schirrmacher geboren wurde. „Wir sind eben alle von ihm traumatisiert“, sagte jemand, der nicht mal unter ihm gearbeitet hat. Der aktuelle „FAZ“-Feuilletonchef wurde stark angegriffen, weil er auf eine öffentliche Kritik an Frank Schirrmacher antwortete, indem er einen uralten, ellenlangen Artikel eines Schirrmacher-Kritikers nachdruckte, nur aus dem einzigen Grund, um der ganzen Welt zu beweisen, dass auch der Schirrmacher-Kritiker mal Unsinn geschrieben hat, wenn auch vor vielen Jahren. Der „FAZ“-Feuilletonchef sagte, das sei völlig in Ordnung. Der Kritiker sei zu Schirrmacher unverschämt gewesen. Dergleichen könne man nicht durchgehen lassen.

Es ist eine extrem von Cliquen und Rivalitäten bestimmte Welt, in der man einander nichts vergibt. Keine Rechnung bleibt je offen. Falls Jesus Christus eines Tages auf die Erde zurückkehrt, wird er wohl lieber Sportredakteur.

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