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Kultur: Die Sache mit der Rache

Mach kaputt, was dich berühmt macht: Robbie Williams und sein neues Album „Rudebox“

Man sollte meinen, dass Erfolg immun macht gegen das, was die Leute über einen reden, von einem halten, eben so labern. Vor allem, wenn der Triumph derart überwältigende Ausmaße annimmt wie bei Robbie Williams. Fünfzig Millionen Platten hat er in seiner Karriere verkauft. Kann es ihm da nicht egal sein, ob seine Kritiker in ihm eine „Marionette“ sehen, „eine muntere Pop-Puppe“, wie er immer wieder beklagt? Das Geld fließt, die Menschen lieben ihn, so what?

Willkommen im manischen Universum des Robert Peter Williams, geboren 1974 in Stoke-on-Trent, als dessen berühmtester Bürger bis heute Edward John Smith gilt, Kapitän der „Titanic“. Ein Untergeher scheint auch Williams zu sein, einer, der immer wieder auf den schlickigen Urgrund seines Herzens zurücksinkt und sich zum Objekt einer neurotischen Selbstzerfleischung macht.

In dem Wunsch, die Popularität zu zerschlagen, die ihn von sich selbst entfernt, spielt er ihr ständig neue Trümpfe zu. Manchmal fällt bei diesem Ritual auch gute Musik ab: Ein New Yorker Gettoblaster, aus dem ein blecherner Hip-Hop-Beat knallt, ein Bar-Piano wispert, und Robbie faselt als Rapper in breitestem Gossen-Englisch etwas von Schmerzen im Rücken, von einem verdrehten Knie, und außerdem sei er nach dem Fünf-Uhr-Tee immer so deprimiert. „I’ve got all these demons /And I can’t stop them“.

„Good Doctor“ heißt dieser trocken- pulsierende Song auf dem neuen, heute erscheinenden Album „Rudebox“ (EMI). In ihm nimmt der von Depressionen geplagte Star seine Medikamentensucht auf die Schippe. Die atemlos-verspielten Sprechtiraden sind deutlich Mike Skinner (alias The Streets) entlehnt. Aber großartig macht ihn erst, dass Williams hier vorführt, wie ihn sein Fabuliergehabe und seine Verführungskunst selbst betrügen – und immer tiefer in den Tablettenmissbrauch treiben. Ein Junkie aus Talent.

„Rudebox“ ist voller solcher Fallstricke und Doppeldeutigkeiten und überraschend gut gelungen dafür, dass hier der größte Popstar der Gegenwart seine Persona demontiert. Dabei ist noch kein Jahr vergangen, seit Robbie Williams die Welt mit seiner letzten radikalen Image- Wende konfrontiert hat. „Intensive Care“ besiegelte die Trennung von seinem langjährigen Songschreiber Guy Chambers, der an Perlen wie „Angels“ und „Feel“ mitgewirkt hatte. An seine Stelle trat Indie-Schreiber Stephen Duffy, berühmt dafür, eine Band zu verlassen, kurz bevor sie den Durchbruch schafft. Die Folge: aufgeblasene Popsongs, die ohne Sinn und Form den Soundfundus der achtziger Jahre plünderten.

Das Werk hat sich sieben Millionen Mal verkauft. Nicht schlecht, aber auch nicht gut genug, um an Duffy festzuhalten. Nur einmal ist er auf „Rudebox“ als Koautor vertreten – mit dem Großpop-Bastard „Keep On“, einer verunglückten David-Bowie-Travestie, die durch angestrengte Vokalakrobatik auffällt („I think with my dingaling-aling / Wing chang with the ching ching / Ting-tong’s tong-ting“, alles klar?).

Williams’ achte Platte ist die erste, die er seiner Meinung nach schon immer machen wollte (er habe sich nur nicht getraut). Als Dance-Album wurde es angekündigt, doch trifft das nicht den Kern der 16 Songs, die von wildem P-Funk bis elegisch-balladesken Soul-Nummern neues Terrain abstecken. Einen Hit sucht man vergebens. Während Madonna und Justin Timberlake sich zuletzt ebenfalls mit Ausflügen ins Disco-Genre von der Last befreiten, anspruchsvolles Songwriting abzuliefern, und sich in ein modisches Stilkorsett zwängten, legt Williams sein Tanz-Experiment offener an. Der Titeltrack ist ein schmutzig-schepperndes Funk-Ungetüm, samt windschiefer Synthesizer-Riffs und Vocoder-Refrain. Den Text versteht wohl nur, wer wie das DJ- und Soundtüftler-Duo Soul Mekanik zur selben Zeit wie Williams in dessen Heimatstadt lebte. „VIVA Life On Mars“ ist ein bizarrer Country-Song, den Computer spielen. Computer dominieren auch „She’s Madonna“. Diese kitschige Hommage an die Queen of Pop ist in Zusammenarbeit mit den Pet Shop Boys entstanden und erstarrt in maschinenhafter Glätte. Mit „The Actor“ rückt der Wahl-Kalifornier Williams anbetungswürdige Hollywood-Größen in das fahle Licht einer kraftvollen, hart-stampfenden Elektro-Nummer.

In den Reigen mischen sich Coverversionen von Manu Chaos „Bongo Bong“ und Human Leagues „Louise“, Lewis Taylors Soulhymne „Lovelight“ sowie Stephen Duffys Achtziger-Hit „Kiss Me“. Doch erst mit „We’re The Pet Shop Boys“ findet die emphatische Rückeroberung der verlorenen Jugend ihren raffinierten Höhepunkt. Ursprünglich von My Robot geschrieben, wurde das Stück zunächst von den Pet Shop Boys nachgespielt (vielmehr: originalisiert), bevor es jetzt auch Robbie Williams zu einer Solidaritätsadresse bewegte. Als Imitation der Imitation. Sein Lieblingssatz: „What have I done to deserve this.“ Was habe ich getan, um das zu verdienen. Gemeint ist die Leere des ewigen Boy-Seins.

Seit Beginn seiner Solokarriere zerren zwei Kräfte an Williams. Er will allen gefallen und sich trotzdem nicht anpassen. So zieht sich durch sein wie durch kein anderes Schaffen die Auseinandersetzung mit dem Popstar-Status. Diese Linie setzt Williams auf „Rudebox“ mit zwei Songs über die achtziger und neunziger Jahre, seine verhinderte Findungsphase, fort. „The 80’s“ erfasst wehmütig die Zeit, als der Teenager durch Stoke-on-Trent stromerte, seine Unschuld verlor, die Jugend eines Mädchens ruinierte, aber ansonsten mit sich ganz gut zurechtkam. „Things look better when they start“, lautet Williams nostalgisches Fazit, „that’s how the 80’s broke my heart.“

Im Sommer 1989 entdeckte Mutter Janet in einer Zeitung die Anzeige eines Musikmanagers, der eine Boygroup zusammenstellte, und schickte ihren 15-jährigen Sohn zum Casting. Robbie, dessen größtes Vorbild sein Vater war, ein abgehalfterter Kleinunterhalter, wurde genommen. Take That war geboren. Die Band, in der Williams dort weitermachte, wo er als Klassenclown aufgehört hatte, wurde mit über zwanzig Millionen verkauften Alben zum Erfolgsmodell des Jahrzehnts. „The 90’s“ macht daraus eine – trotz aller Verbitterung – versöhnliche Eloge auf die Zwangsgemeinschaft der jugendlichen „Nervenbündel“. Es ist ein erstaunlicher Song, ohne jede für Williams’ Ambitionen so typische Gereiztheit, ohne Beat- und Stilwechsel. Das Stück fließt dahin, gleichförmig und unwiederbringlich.

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