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Die Autorin Leonie Ossowski in ihrer Wohnung in Berlin

© dpa

Schriftstellerin Leonie Ossowski wird 90: Die Schlesierin

Als Adlige geboren floh Leonie Ossowski schwanger mit 19 ausdem Lebuser Land. Dann begann sie, Familiengeschichten zu schreiben. Nun wird die Schriftstellerin 90.

Das „Stichwort Großscherkow“ treibt in Leonie Ossowskis Roman „Der einarmige Engel“ (2004) die Zwillingsbrüder Conrad und Ludwig von Scherkow um. Nach dem Mauerfall hoffen die beiden Westdeutschen, das brandenburgische Schloss der Eltern wiedererwerben zu können. Doch sie drohen an bürokratischen Hindernissen und Ressentiments der örtlichen Bevölkerung zu scheitern, bis Conrads Sohn Carl sich der Sache annimmt. In ihrem bislang letzten Roman brachte die aus dem niederschlesischen Röhrsdorf (heute Osowa Sien) stammende Gutsbesitzerstochter noch einmal zwei für sie zentrale Motive aufs Tapet: eine dramatische Familiengeschichte und den exakt beschriebenen Schauplatz.

Bei der Flucht aus dem Lebuser Land war Leonie Ossowski 19 und mit dem ersten von sieben Kindern schwanger. Nach Stationen in Bad Salzungen, Hessen, Oberschwaben und kurz als DEFA-Autorin in der DDR kam sie 1958 nach Mannheim, wo sie sich für straffällig gewordene Jugendliche engagierte. Mannheim findet sich in dem Drehbuch für den vierten „Tatort“ mit dem Titel „Auf offener Straße“ und in den „Mannheimer Erzählungen“ wieder. Geboren als Jolanthe von Brandenstein, wählte sie sich einen nom de plume, so wie die dichtende Mutter unter ihrem Mädchennamen Ruth von Ostau firmiert hatte. Als Adlige wäre Ossowski unter Halbstarken wie denen, von denen ihr Jugendbuch-Klassiker „Die große Flatter“ (1977) erzählt, kaum ernst genommen worden.

Stets zog es Leonie Ossowski, deren Familie ihr Gut 1945 nach mehr als 700 Jahren aufgeben musste, dahin, wo das Leben anstrengend, aber eben auch aufregend ist. Nicht nur als Gefangenenbetreuerin in der JVA Tegel erfüllte die SPD-Sympathisantin Sigmar Gabriels Leipziger Aufruf, wonach die Partei hinaus ins Leben müsse, „da, wo es laut ist; da, wo es brodelt; da wo es manchmal riecht, gelegentlich auch stinkt“. Dieser Ansatz färbte auf Ossowskis Erzählen ab, das von strikter Ökonomie, raffinierter Technik und trivialen Liebeswirren geprägt ist. Es umfasst neben Theaterstücken („Voll auf der Rolle“), Drehbüchern und Rundfunkbeiträgen rund 20 Bücher wie ihr Romandebüt „Stern ohne Himmel“ von 1958, die surrealistisch inspirierten „Blumen für Magritte“ oder den Berlin-Roman „Die Maklerin“, in dem es um eine als Tüten-Elli bekannte Obdachlose vom Kudamm geht.

Berühmt und mit dem staatlichen Orden „Verdiente der polnischen Kultur“ geehrt wurde Leonie Ossowski durch ihre ab 1976 veröffentlichte Schlesien-Trilogie „Weichselkirschen“, „Wolfsbeeren“ und „Holunderzeit“. Zwei Jahre zuvor hatte sie sich zur Recherche in ihren Geburtsort aufgemacht, als es noch kaum „Heimwehtouristen“ gab. Wie ihre Hauptfigur Anna aus „Weichselkirschen“ wandelte sie sich dabei von der misstrauisch beäugten ehemaligen Schlossbesitzerin zu einer gern gesehenen Freundin, die Heimat nicht als Besitz betrachtet.

1980 zog Ossowski, inzwischen wieder geschieden, mit ihrem dritten Mann nach Berlin. Sie sehe sich eher als Autorin denn als Schriftstellerin, verriet sie einmal. Wie dem auch sei: Das Schreiben und ihr soziales Engagement haben die schlesische Realistin geistig jung gehalten. Heute feiert sie in Schöneberg ihren 90. Geburtstag.

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