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Redselige Verzweiflung. Szene aus Kriegenburgs DT-Aufführung. Foto: Eventpress Hoesch

© Eventpress Hoensch

Kultur: Die Schmerzgestalter

Andreas Kriegenburg inszeniert Dea Loher am Deutschen Theater.

Nach dem komödiantischen Panorama ein Kammerspiel, nach der grellen Farce ein düsteres Drama, wie immer uraufgeführt von Andreas Kriegenburg. „Diebe“ hieß das lustige Episodenstück von Dea Loher, das dem Deutschen Theater einen Dauerbrenner bescherte, bei dem ins Skurrile verrückte Allerweltsfiguren von einem riesigen Mühlrad ans Licht der Bühne geschaufelt werden, um im nächsten Moment wie Kehricht von den Brettern zu kippen. Im auftrumpfenden Bühnenbild war das ein ziemlich kinderspielzeugleichter, zauberischer Spaß.

Das kann man von dem neuen Stück von Dea Loher, ihrem 16. inzwischen, nicht behaupten. „Am schwarzen See“ ist so dunkel, wie es der Titel schon androht, nein, noch dunkler, denn alles verklärt Romantische, alles kuschelig Nebelverhangene, das dieser Titel ebenfalls aufruft, fehlt völlig. „Am schwarzen See“ erzählt von einer Geschichte ohne Ausweg.

Vor vier Jahren haben sich Nina und Fritz, 15, 16 Jahre jung, gemeinsam im See ertränkt, und nun treffen die Eltern der toten Kinder erstmals wieder aufeinander. In der Brauerei von Eddie und Cleo, von der aus man den Ort des Schreckens ständig vor Augen hat, wenn die beiden das Fenster nicht zugemauert hätten, weil sie den Blick nicht ertragen. Alle vier sind über den Verlust nie hinweggekommen, klammern sich paarweise aneinander, vegetieren in einer gespenstischen, ewig dämmrigen Zwischenwelt, umflattert von Schuldgefühlen und unbeantwortbaren Fragen – im Limbo, wie es Jörg Pose als Johnny, der Banker und Vater von Nina, einmal sagt.

Und nun, da die vier aufeinandertreffen? Erzählen sie sich überdreht Erinnerungen an ihre erste Begegnung, fallen sich dabei ständig ins Wort, reden blind lustig vor sich hin, stellen also ihre Verdrängung ungelenk harmlos aus. Ein bisschen Rezas „Gott des Gemetzels“, ein bisschen mehr Jelinek’sches Textflächengerede. Da befürchtet man das Schlimmste. Dass der Horror, die innere Erstarrung, dass das, woran die Figuren fast zu ersticken drohen, also das Vergessenwollen und Nichtkönnen, das Sprechenwollen-aber-nicht-wissen-wie, dass genau das so schwer zu gestalten ist; dass das, was diese Situation dramatisch vorgibt und ausmacht, übertüncht wird von lyrischen Pingpongsätzen, die schön rhythmisch sind, uns aber nichts angehen.

Das Stück kriegt aber beeindruckend die Kurve. Die Figuren schälen sich aus dem Kollektivgeplapper, bekommen Raum für den Schmerz, die musikalischen Wiederholungen werden zu einem ratlosen Schweigen, aus dem die Figuren vergeblich Anlauf nehmen, um das Unbegreifliche zu begreifen. Die Luft ist eisig in dem hallenhohen, von Möbeln freigeräumten Raum, den Harald Thor ins Deutsche Theater hat bauen lassen. Die Verflechtung der Figuren zeigt sich, die pathologischen Auswüchse, mit denen jeder reagiert. Während die selbstverächtlichtoughe Cleo (Natali Seelig gibt ihr eine harte Undurchschaubarkeit) die überschuldete Brauerei am Laufen hält und ihren Mann mit gruselig zärtlicher Aggressivität dafür bestraft, dass sie ihn nicht rechtzeitig, also vor dem Tod des Sohns, verlassen hat, möchte Eddie dem Toten nah sein, indem er in die Rolle des Heiligen flüchtet und alles Materielle an Bedürftige verschenkt. Bernd Moss verleiht ihm eine zappelige Unkörperlichkeit, eine Schlaksigkeit, aus der alles Männliche längst verdampft ist.

Johnny – Jörg Pose im bekannten Singsang des sich selbst Fremden – fühlt sich panisch für das Überleben seiner herzkranken Frau verantwortlich und sucht Trost in sexuellen Eskapaden. Else dagegen, die Dünnhäutigste, fragt am rigorosesten nach dem Warum des Selbstmords. Katharina Marie Schubert spielt die Untröstliche gläsern,verletzlich; mit kindlicher Schutzlosigkeit malt sie sich die schreckliche Szene des Ertrinkens aus.

Den Schritt vom Ausstellen des Leidens zum Gestalten des Schmerzes, den der Text macht – er gelingt der Regie nur halb. Andreas Kriegenburg, der lieber eingängige Bilder entwirft, als sich in quälende Stille und Zwischentöne einzulauschen, kann nicht vom Übermalen lassen. Immer wieder müssen die Figuren übertrieben körperlich agieren. Sie rennen gegen die Wand, verknoten sich zu Schmerzensknäueln, führen, anstatt Zustände transparent zu machen, etwas vor – und delegieren das Emotionale an die Musik. Trauriges barockes Saitengezupfe und Klagegesänge im Hintergrund, fast die ganze Zeit. Ein Schwung erpresstes, kunsthandwerklich aus der Tube gedrücktes Gefühl ist während dieser anderthalb Stunden auch dabei.

wieder am 31.10., 19.30 Uhr, 6.11., 20 Uhr und 11.11., 19.30 Uhr

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