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Frühjahrsauktion Villa Grisebach: Die Schöne und der Stier

Campendonk, Klapheck, Daniel Richter: Die Villa Grisebach versteigert so viele Lose wie noch nie und strebt den höchsten Umsatz ihrer Geschichte an

Eine tiefblaue Blase. Eine Welle vielleicht, in der sich zartgrün die Konturen eines Fisches zeigen. Eine Schlange züngelt mit der Kuh, in deren Brust die Abendsonne über dem Meer schwebt. Auf Kreisen und Quadern wächst ein kahler Baum, verwandelt sich zum Kopf eines Stiermenschen. Seine würdevolle Haltung rückt diesen Minotaurus aber auch in die Nähe des biblischen Noah. Es schlängelt und stürzt, es wimmelt und flirrt in Heinrich Campendonks „Landschaft mit zwei Kühen“. Fast surreal und zugleich ausgewogen ruhig.

Am Vorabend des Ersten Weltkriegs verschmelzen Paradies und Apokalypse. Das faszinierende Form- und Farbspiel gehört zweifelsfrei zu den herausragenden Kompositionen des rheinländischen Expressionisten. In der Villa Grisebach ist das vielschichtige Ölbild aus der Zeit des Blauen Reiters das unumstrittene Spitzenlos. Und es wird für Spannung sorgen. Denn einen Zuschlag von über zwei Millionen erzielte bislang nur Campendonks vermeintliches „Rotes Bild mit Pferden“, das 2010 den Fälschungsskandal um Wolfgang Beltracchi auslöste. Die Provenienz für jene „Landschaft mit zwei Kühen“ ist dagegen lupenrein. 1960 wurde die Leinwand zuletzt ausgestellt und dokumentiert. Nun kommt sie mit einer Schätzung von zwei bis drei Millionen Euro zum Aufruf.

Von manchen Kunstwerken trennen sich die Einlieferer gleich wieder

Insgesamt bieten die sieben Frühjahrsauktionen 1650 Lose. Das umfangreichste Angebot in der Geschichte der Villa. Die Einlieferer sind optimistisch. Wilhelm Lehmbrucks „Frauenbüste (Büste Frau L.)“ in einem vor 1922 und wahrscheinlich noch zu Lebzeiten gefertigten Steinguss hat eine Schweizer Sammlung 2008 für rund 750 000 Pfund bei Sotheby’s erworben. Der erste Trennungsversuch – vor zwei Jahren an gleicher Stelle und mit ähnlicher Bewertung – schlug fehl. Nun werden 400 000 bis 600 000 Euro für das Porträt der Bildhauergattin erwartet. Gleichauf taxiert sind Lovis Corinths im Jahr vor seinem Tod gemalte „Zinnien“. 2012 hat der süddeutsche Einlieferer bei Nagel in Stuttgart den Zuschlag bei 300 000 Euro erhalten, darf also einen Zuwachs zumindest erhoffen.

Den Auftakt der 92 wichtigsten „Ausgewählten Werke“ macht Paula Modersohn-Beckers kühnes „Rotes Haus“, das 1903 die Farbfeldmalerei vorwegzunehmen scheint und rückseitig eine Worpsweder „Landschaft mit Birkenstämmen am Moorgraben“ zeigt (120 000– 150 000 Euro). Drei Jahre später entstand František Kupkas Bild „Der rosafarbene Hut“. Seine Trägerin zeigt der 1871 in Böhmen geborene Maler als geheimnisvoll irritierende Schönheit. Mit betont dunkler Augenpartie und knallroten Lippen, die komplementäres Grün kontrastiert. Das androgyne Wesen markiert eine Zwischenphase. Bereits 1910 schuf Kupka gegenstandslose Kompositionen. Als einer der ersten abstrakten Maler und noch vor Wassily Kandinsky.

Rund ein Drittel der „Ausgewählten Werke“ datieren ab 1960. Anselm Reyles unbetiteltes Folienbild (50 000–70 000 Euro) gar von 2010. Länger ausgehalten hat es ein Nordrhein-Westfale mit Daniel Richters „Fun de Siècle“ von 2002. Fahl-irisierendes Pop-Flair auf elf Quadratmetern (120 000–150 000 Euro). Weniger spaßtrunken, dafür noch gigantischer sind Jannis Kounellis’ Bleifolien auf Stahlplatten. Liebhaber des Arte-Povera-Granden brauchen auf jeden Fall sehr viel Raum und geschätzte 100 000 bis 150 000 Euro. Den größten Posten unter den Zeitgenossen könnte der signalrote Bagger abräumen, den Konrad Klapheck 1994 in magisches Dunkel setzte. 200 000 bis 300 000 Euro werden für die zweieinhalb Meter breite Leinwand erwartet, die der Düsseldorfer Künstler „Im Zeitalter der Gewalt I“ betitelt hat. In Thomas Demands C-Print liegt die Gewalt offen: Sprengstoff – mit dem der Künstler einen geplanten RAF-Anschlag ins Visier nahm – für 35 000 bis 45 000 Euro. Die werden auch für Irving Penns „3 New Guinea Men, (2 with Pipes)“ erwartet, dem Spitzenlos der Fotografie-Auktion.

Ein Panorama als Vorläufer von Google Street View

Max Liebermann, eigentlich auf die „Ausgewählten Werke“ abonniert, führt dieses Mal die Kunst des 19. Jahrhunderts an, die die Frühjahrsstaffel am Mittwoch einläutet. Der Schätzpreis der „Schafherde“, die der Impressionist 1888 zwischen betörenden Lichtreflexen dahin fließen ließ, lautet 300 000 bis 400 000 Euro. Weitere Highlights sind zwei Bleistiftzeichnungen Caspar David Friedrichs, darunter die „Rügische Küste bei Göhren“ (60 000–80 000 Euro) und eine „Landschaft mit Apoll unter den Hirten“ des Tirolers Joseph Anton Koch (140 000– 180 000 Euro). Das außergewöhnlichste Bild stammt von August Kopisch, dem Entdecker der Blauen Grotte auf Capri. Ursprünglich hatte der 1799 Geborene Malerei studiert. „Ein Schiff auf dem Meere von Delphinen umschwärmt“ (8000–12000 Euro) heißt das um 1826 entstandene Ölbild von romantischem Esprit und von hinreißend moderner Farbigkeit.

Als Vorläufer des Google Street View apostrophiert die Orangerie-Abteilung eine „Lindenrolle“ von 1820. Aus deren 15 Zentimeter hoher Messingdose entrollt sich ein Panorama. Rund drei Kilometer beidseitig des Berliner Prachtboulevards auf einer knapp acht Meter langen, doppelseitigen und kolorierten Lithografie (20 000–25 000 Euro). Ganz ohne Überwachungskameras.

Villa Grisebach, Fasanenstr. 25. Vorbesichtigung 24.–26. 5., 10–18 Uhr, 27. 5., 10-17 Uhr. Versteigerungen: 28. 5.–31. 5.

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