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Kultur: Die Seele ist Dekor genug

Hauptsache spartanisch: Michael Thalheimers zweiter Opernstreich mit Verdis „Rigoletto“ in Basel

Vielleicht tut der Oper derzeit keine Kunst so nötig wie die des Weglassens. Sich auf den Kern der Dinge zu besinnen, seitdem die tagesaktuellen Bezüge und Schauplatzverlagerungen ihre Schockwirkung eingebüßt haben und eine „Butterfly“ im Sex-Hotel, ein „Rigoletto“ im Mafia-Milieu beim Publikum nur noch ein müdes Achselzucken auslösen. Einfach auf alle Versuche verzichten, die kruden Handlungsverläufe der Kunstform Oper zu rechtfertigen, und die Menschen, um die es letztlich geht, aus all diesen Bedingtheiten quasi herausschneiden – liegt darin die Zukunft?

Kaum einer beschreitet diesen Weg so konsequent wie Michael Thalheimer. Im Schauspiel ohnehin, dessen Klassiker von „Emilia Galotti“ bis „Faust II“ der Chefregisseur des Deutschen Theaters gnadenlos auf ein Drittel ihres Zeitsolls herunterkondensiert. Als der Minimalist sich der Oper zuwandte, war das eine Überraschung: Vor knapp einem Jahr bewies Thalheimer mit Janáceks „Katja Kabanowa“ an der Berliner Lindenoper, dass seine Ökonomie der Mittel selbst dort zu einer Schärfung des Konfliktbewusstseins führt, wo an Stücklängen und Personalstärken nichts zu drehen ist.

Auch bei Thalheimers zweitem Opernstreich, Verdis „Rigoletto“, ist schon vor dem ersten Takt klar, dass es hier kein überflüssiges Dekor geben wird, weder Narrenkappe noch Maschinenpistole. Ein, zwei quälend lange Minuten lang stellt sich der Narr auf der Bühne des Basler Theaters den Blicken des Publikums, ehe das Vorspiel einsetzt. Die beiden anderen, Gilda und der Herzog, werden sich später ebenso bloß-stellen. Den ganzen Abend über wird es auf nichts anderes ankommen als auf diese drei. Auf- und Abgänge lässt Thalheimer beiläufig passieren, und im Grunde ist es ihm auch egal, wen diese Figuren verkörpern. Herzöge und Narren interessieren uns im 21. Jahrhundert nicht mehr, wohl aber die verzweifelte Suche dreier Menschen nach ihrem Lebensglück.

Mehr als ein Schaukasten der Gefühle will auch Henrik Ahrs weiße Bühne nicht sein, die die Handlungsfläche auf einen Streifen an der Rampe reduziert. Michaela Barths unauffällig moderne Kostüme dienen ebenfalls der Schärfung der Charaktere, nicht einer konkreten Verortung: In brauner Hose und hochgekrempeltem blauem Hemd ist Gilda eine Frau jenseits aller Operntypologie, deren Seele im Gesang nackt vor aller Welt zu liegen scheint. Das ist das Verblüffendste an diesem „Rigoletto“: Dass nahezu alle Thalheimerschen Vereinfachungen nur die Kühnheit bewusster machen, mit der Verdi selbst einst Victor Hugos romantisches Schicksalsdrama „Le Roi s’amuse“ verknappte. Kaum jemals ist so fühlbar geworden, wie karg diese Musik tatsächlich ist, wie schutzlos sie ihre Hauptfiguren der Leere preisgibt. Und wie brutal sie selbst in ihrer Grandezza sein kann.

Das Dirigat von Marco Letonja kündet allenthalben von solch lähmender Ausweglosigkeit. Wie Thalheimer verzichtet der Basler Chefdirigent auf alles Verbindliche, auf die Polsterungen, mit der 150 Jahre Kapellmeistertradition Verdis Härte aufgeweicht haben. Breit lässt Letonja den Spalt klaffen, der sich zwischen den lakonischen Streicherimpulsen und den dünnen Lebensfäden der Holzbläser auftut, macht Leere hörbar, aber auch den ersten Moment gegenseitigen Verstehens, wenn im Duett Rigolettos mit seiner geschändeten Tochter „Tutte le feste al tempio“ eine blühende Phrase der Geigen plötzlich die Leere füllt.

Dass Gilda, die liebend-leidende Tochter, das eigentliche Gravitationszentrum des Abends ist, liegt nicht nur an Thalheimers Sympathie für das Opfer. Sondern auch daran, dass Maya Boog ihre Rolle mit einer Präsenz füllen kann, die auch dann spürbar ist, wenn sie nicht singt. Die Ansatzschwierigkeiten ihres nicht völlig lupenreinen Soprans stören kaum, sondern lassen das Bild der geschundenen Seele nur umso eindringlicher hervortreten.

Die Gefahr, die Thalheimers Theater birgt, tritt an anderer Stelle deutlich zutage: Der völlige Verzicht auf alles Dekor funktioniert nur mit Darstellern, die ihre Gefühle nicht nur singen, sondern auch spielen können. Jede Geste, die aus dem konventionellen Opernrepertoire stammt, wirkt auf Thalheimers Seziertisch nur mehr wie ein irritierender Fremdkörper. Annooshah Goleshorki, Thalheimers Rigoletto, ist der Aufgabe noch recht gut gewachsen: An Stelle der Narren-Grimassen tritt eine tumbe, eher hilflose Unbeweglichkeit – seine „Gilda“Rufe am Ende wirken erschütternd, weil sie so überhaupt nichts händeringend Theatralisches besitzen.

Anders Daniel Kirch als Herzog. Er kommt zwar relativ gut durch die Partie, scheitert aber an der Zwiespältigkeit seiner Figur. Die Lebensangst, die hinter den ariosen Protzereien des Frauenhelden steckt, kann Kirch kaum deutlich machen. Nicht einmal im entscheidenden Moment am Ende seines Duetts mit Gilda, wenn für einen Augenblick, befreit von den defätistischen Begleitfloskeln des Orchesters, im ätherischen Zusammenklang der Stimmen die Illusion eines schöneren Lebens im Raum steht.

Jörg Königsdorf

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