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Kultur: Die spinnen, die Finnen

Der Sommer gilt im Berliner Nachtleben als Saure-Gurken-Zeit. Die Biergärten sind voll, die Tanzflächen vergleichsweise leer.

Der Sommer gilt im Berliner Nachtleben als Saure-Gurken-Zeit. Die Biergärten sind voll, die Tanzflächen vergleichsweise leer. Vor ein Uhr nachts geht gar nichts, und viele Clubs, die keine Tische nach draußen stellen können, machen vorsichtshalber dicht. Doch zum Glück gibt es ein paar Mutige, die das Sommerloch nicht nur mit Weizenbier und Tanzschweiß, sondern auch mit Inhalten füllen, zum Beispiel mit Finnland.

Eine Terra Incognita ist der finnische Sommer. Ein unübertroffenes Denkmal hat ihm Thomas Kapielski in seiner Denkschrift „Davor kommt noch. Gottesbeweise IX-XIII“ gesetzt (Merve Verlag 1998). „Rechts dümpelt mal ein See vorbei, dann links auch hin und wieder einer. Dazwischen kein Strauch, kein Blümchen, nur diese Klobürsten, diese ewigen Kiefern, ein Meer der Magersucht und unten rum alles voll brauner Nadeln. Die Birke gilt als Abwechslung.“ Bei uns im europäischen Süden gilt der Finne gemeinhin als Melancholiker. Alkohol ist sein Getränk, Tango seine Musik, Selbstmord sein Fluch. Eine lebensfrohe Journalistin berichtete einmal, wie sie ein halbes Jahr unter den Finnen verbrachte und das Wort Stumpfsinn buchstabieren lernte. Sie saß mit vielen Finnen in einem Wohnzimmer, draußen herrschte ewige Finsternis, drinnen liefen den ganzen Tag Pornofilme. Alle tranken immerzu Wodka, keiner sprach ein Wort. Irgendwann wurde es Frühjahr und sie reiste wieder ab.

Schilderungen wie diese trugen dazu bei, im Finnen den am wenigsten verstandenen europäischen Nationalcharakter zu sehen. Ein Klischee, dem sich nun mutig ein Festival entgegenstemmt. Monsters of Humppa widmet sich am 22. Juli auf der Insel der Jugend (15 bis 21 Uhr, Treptow) der finnischen Musik.

Aus den Mückensümpfen Nordfinnlands kommen die Jolly Jumpers, deren Musik man als finnischen Country verstehen muss. La Sega Del Canto aus Jyväskylä beweisen, dass auch Baumarktware als Melodieinstrument einsetzbar ist. Ihre singenden Sägen sind handelsübliche Werkzeuge, von Blockflöte und Pump-Organ sparsam begleitet. Unbestrittener Star des Festivals sind aber Eläkeläiset (zu deutsch „Die Rentner“). Deren Musik irrt irgendwo zwischen Polka, Schieber und Polonäse umher, eine zentrale Rolle spielt dabei das Akkordeon. Charakteristisch am Humppa ist der bewusste Verzicht auf sinnvolle Texte. Die Melodien sind bekannten Hits entlehnt, in jedem Songtitel muss aber das Wort Humppa vorkommen, in den meisten Textzeilen taucht es ebenso auf. Überflüssig zu erwähnen, dass diese Musik regelmäßig die Hitparaden stürmt. In Finnland.

Wer bislang glaubte, die Finnen seien ein urwüchsiges Volk mit einem eher eingeschränkten Musikgeschmack, der kann sich hier eines Besseren belehren lassen. Vielleicht wird er aber auch bestätigt.

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