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Kultur: Die standfeste Scheibenform

Die Alterspyramide sieht in unserer Gesellschaft schon lange nicht mehr so aus, wie sie eigentlich sollte. Und auch wenn mit der steten Vergreisung der Gesellschaft ein wundersamer Jugendlichkeitswahn einhergeht, so kann man sich den Realitäten nicht verschließen - schon gar nicht Städteplaner und Architekten.

Die Alterspyramide sieht in unserer Gesellschaft schon lange nicht mehr so aus, wie sie eigentlich sollte. Und auch wenn mit der steten Vergreisung der Gesellschaft ein wundersamer Jugendlichkeitswahn einhergeht, so kann man sich den Realitäten nicht verschließen - schon gar nicht Städteplaner und Architekten.

Gerade die immer zahlreicher werdenden älteren Menschen benötigen dringend angemessenen Wohnraum, der ihnen einen Lebensabend ohne Einbußen an Lebensqualität ermöglicht. Dies gilt besonders, wenn sie nicht mehr in der Lage sind, jeden Tag allein für sich zu sorgen, oder wenn sie gar der stationären Pflege bedürfen. Überall in der Stadt entstehen deshalb derzeit Projekte für betreutes Wohnen im Alter; Orte, die Raum und Hilfe für das letzte Drittel des Lebens bieten. In der aufkeimenden Dienstleistungsgesellschaft Deutschland ist auch das Alter längst zum Geschäft geworden.

Damit ist aber auch eine neue Bauaufgabe entstanden, die der Sanatoriums-Architektur des frühen 20. Jahrhunderts verwandt ist. Sie ist ein Zwitter aus Krankenhaus- und Hotelplanung. Im besten Fall sind es Boarding-Häuser für Senioren.

Nun hat der Architekt Max Dudler ein solches Seniorenwohnheim in Hohenschönhausen geschaffen. Es steht inmitten eines wenig anheimelnden Plattenbau-Wohngebiets aus den sechziger und siebziger Jahren am Heckelberger Ring. Der klar gegliederte Baukörper trägt deutlich die Handschrift des nicht nur in Berlin höchst erfolgreichen Schweizers.

Und doch kann das Seniorenheim in seiner schlanken Scheibenform seine Vergangenheit als DDR-Plattenbau nicht gänzlich verleugnen. Dabei wurde das bereits vor der Sanierung als Seniorenwohnheim genutzte Gebäude bis auf seine tragende Stahlbetonkonstruktion "zurückgebaut". Angesichts des hohen Sanierungsaufwandes verzichtete man beim Umbau ohne große Bedenken auf die einst vorgelagerten Balkone. An ihre Stelle ist ein schlichtes aber doch höchst wirkungsvolles Fassadenprofil getreten. Dezent abgetreppt, verschränken sich die beiden Schichten der Lochfassaden und erzeugen dadurch eine wirkungsvolle Spannung, die dem Gebäude einen eigenen Charakter verleiht. Solch dezentes Modellieren fügt sich sinnvoll in den auch ansonsten freundlich hellen, aber zugleich streng gerasterten Charakter des Hauses, der in der Tradition rationalistischer Bauten steht. Das Sockelgeschoss, das einst als Kellerersatz für die Technikzentrale gedacht war, ist nun der Verwaltung des Heims und einzelnen Funktionsbereichen vorbehalten. Um seinen Bedeutung als Sockel deutlicher hervorzuheben, erhielt es eine Verkleidung aus dunklen Betonwerksteinelementen, die dem Baukörper auch optisch die nötige Standfestigkeit vermitteln. Die Fugen zwischen den einzelnen Elementen rufen dabei die Erinnerung an die alte "Platte" wach. Die hochrechteckigen Fensterschlitze sind allerdings all zu schmal ausgefallen und besitzen einen schießschartenartigen Charakter.

Offener präsentieren sich die oberen Geschosse. Das liegt nicht zuletzt an der hellen Putzfassade, vor allem aber an den großzügigen Fensterelementen, die als französische Fenster tief hinabgezogen wurden. Hier zeigt sich Dudler als genauer Detaillierer: Die grau gestrichenen Fensterrahmen aus Holz werden durch ein dunkles Aluminiumprofil nochmals eingefasst. Aus insgesamt fünf Teilen bestehen diese Fensterelemente. Dem geschlossenen dunklen Paneel in der Mitte ist in den Zimmern im Inneren jeweils die Heizungen vorgelagert. Seitlich wird es auf beiden Seiten von zwei Glasflügeln eingefasst, wobei jeweils nur die äußeren Flügel geöffnet werden können.

Die einst doppelgeschossige Gemeinschaftshalle, die zu dem Platten-Typ des Feierabendheims gehörte, wurde aufgegeben. An ihre Stelle sind unterschiedlich groß geschnittene Wohnungen für Senioren getreten. Doch dadurch, dass die Fensterelemente in diesem Bereich doppelgeschossig ausgeführt wurden, entstand zumindest eine Reminiszenz an die ursprüngliche Gebäudestruktur. Den Seniorenwohnungen im ersten und zweiten Obergeschoss schließt sich der Bereich der Kurzzeit-Pflege im dritten Geschoss an sowie die Zimmer der stationären Pflege in den oberen vier Geschossen.

Der Wunsch des Architekten, auch die Ausstattung der Wohnungen zu verwirklichen, ließ sich nicht realisieren. So zeigt das Haus nur eine Andeutung von Dudlerschem Innenausbau mit Linoleumböden und dunklen Türzargen. Den oberen Abschluss bildet ein dunkles Band, das den hellen Baukörper zusammenhält.

In seiner bemerkenswert subtilen Klarheit wertet das rund 17,5 Millionen DM teure Projekt nicht nur den umgebenden Stadtraum auf. Es setzt auch ein qualitatives Zeichen für die Bauaufgabe Seniorenwohnheim sowie für die Umgestaltung der in die Jahre gekommenen DDR-Plattenbauten.

Jürgen Tietz

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