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Kultur: Die Stimmen hör’ ich wohl

Weltsichten im Haus am Waldsee: die verstörende Videokunst des Bjørn Melhus

Bjørn Melhus arbeitet wie ein Koch. Schwere Kost reduziert er: Heraus kommt das Absurde, auch das Lustige. Ein zotteliges Viech – der Künstler selbst steckt in dem Kostüm – ist in einer Videodauerschleife gefangen. Wenn es steht, muss es sich ducken, sonst stößt es oben an den Bildrand an. Und immer wieder quäkt es: „I do not belong in this house.“ Das Tier ist zu groß für den Bildausschnitt, in der Wandprojektion stößt es zudem an die Decke des Hauses am Waldsee, wo diese Arbeit in der Einzelausstellung „Live Action Hero“ des deutsch-norwegischen Künstlers zu sehen ist.

Melhus spielt hier auf das Märchen „Der Bärenhäuter“ der Gebrüder Grimm an. Ein junger Soldat kommt nach dem Krieg nach Hause, seine Familie nimmt ihn nicht mehr auf, er weiß nicht wohin. Der Teufel schlägt ihm einen Pakt vor: Sieben Jahre lang in einem Bärenfell herumlaufen, sich nicht waschen oder die Haare schneiden. Stirbt er in dieser Zeit, so gehört er dem Teufel, bleibt er am Leben, ist er frei und bis zum Lebensende reich.

Der Aussätzige aus der Märchenwelt trifft bei Melhus auf die knallharte Realität. Auf die Traumata der aus Afghanistan und dem Irak heimkehrenden Soldaten. Und auf ihre Probleme, in den Alltag zurückzufinden. Das Thema trägt Melhus schon seit einigen Jahren mit sich herum. Lange bevor es bis zu den Tatort- Drehbuchschreibern durchgedrungen ist und damit zur breiten Bevölkerung. Das Zotteltier-Video ist eine von mehreren ganz neuen Arbeiten, die den Schwerpunkt dieser großartig präsentierten Ausstellung bilden.

An der Längswand im Erdgeschoss hat Melhus mehrere Bildschirme nebeneinander gehängt. Filmausschnitte amerikanischer Blockbuster wechseln sich ab, darunter auch „Rambo“, die Geschichte eines Vietnamkriegsveteranen. Melhus hat Einstellungen von Auffahrten, Häusern, Inneneinsichten von Wohnräumen oder Supermarktreihen zusammengestellt, als Symbole des alltäglichen Lebens. Dazwischen blendet Melhus Sätze ein: „This is my home“, zum Beispiel. Oder: „This is my bed.“ Sie stammen aus einem amerikanischen Ratgeber. Soldaten sollen sie sich Mantra-artig vorsagen, wenn sie mal wieder die Erdung verlieren, wenn sie nachts schweißgebadet aufwachen und nicht wissen, wo sie sind.

Der Künstler ist hier anders vorgegangen, als man das von früheren Arbeiten kennt: Melhus hat mit fertigem Bildmaterial gearbeitet. Normalerweise benutzt er nur die Tonspuren alter Filmklassiker. Die Synchronstimmen großer Hollywoodschauspieler kratzen ganz vertraut im Ohr des Betrachters und Zuhörers. Er zerhackt sie und setzt sie neu zusammen. Danach erfindet er eigene Bilder, dreht, häufig in Kinoästhethik. Und immer schlüpft er selbst in die Rollen der Figuren. Bjørn Melhus ist viele. Captain Kirk und der Anchorman, das junge Mädchen, die Mutter, der Bär, der Mexikaner.

Herrlich ist die Schau ausgestattet. In den Räumen stehen Sessel und Stehlampen, die geradewegs aus den Videos entnommen zu sein scheinen. Im oberen Stock sind frühere Arbeiten zu sehen, die sich vor allem mit der glatten Oberfläche von stupiden Talkshows oder aufgeblasenen News-Sendungen beschäftigen. Melhus schneidet die Tonspuren zu rhythmischen Loops zusammen. Die glatzköpfigen Typen wiederholen Floskeln in Dauerschleife, im Hintergrund wischen Sterne und Globen vorbei.

Mit den jüngeren Arbeiten, die reale Orte imitieren, enge Wohnzimmer und weite Wälder, scheinen diese Videos, die die sterile Kulissenhaftigkeit der Glotzen-Welt auf die Spitze treiben, nichts zu tun zu haben. Und doch fühlt man sich in ihnen ähnlich verloren. Entfremdet.

Die Ausstellung schlägt einen Bogen über 20 Jahre Schaffenszeit und zeigt, dass das Thema von Heimat und Fremde im Werk dem 1966 geborenen Melhus von Anfang an angelegt ist: In einem eigens eingerichteten Kino, stilecht mit Getränkekühlschrank im Vorraum, läuft der knapp 40-minütige Film „Weit Weit Weg“ von 1995. In der Zeit studierte Melhus noch an der Kunsthochschule in Braunschweig (heute, als einer der bedeutendsten deutschen Medienkünstler, lehrt er an der Kunsthochschule Kassel).

Ein Mädchen mit Zöpfen nimmt von ihrem spießigen Kinderzimmer in einer anonymen Wohnsiedlung aus per Telefon Kontakt zu Außenwelt auf, mit Alter Egos, die im fernen Amerika am anderen Ende der Leitung sitzen. Unterlegt ist das Ganze mit der quirligen Original- und Synchronstimme von Dorothy aus dem Klassiker „Der Zauberer von Oz“ von 1939, mit Judy Garland in der Hauptrolle. Immer wieder sagt das Mädchen mit der überdimensionalen Schleife auf dem Kopf: „Es ist nirgends besser als daheim.“ Dabei blinzelt es verloren in die Kamera. Blinzelt er, Melhus. Er ist nicht nur ein spielerischer Künstler, er ist auch ein guter Schauspieler.

Haus am Waldsee, Argentinische Allee 30, bis 10. April.; Di - So 11 - 18 Uhr. Katalog 16,80 €.

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