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Kultur: Die Stimmung ist besser als die Lage In 412 Tagen Regieren hat sich Klaus Wowereit wenig verändert – die Stadt schon

Von Stephan Lebert Er isst weniger, in diesen Tagen, „ich versuche ein bisschen abzunehmen“, sagt Klaus Wowereit. Seit 412 Tagen ist er Regierender Bürgermeister, damals, vor dem Misstrauensvotum gegen Eberhard Diepgen, hieß es, er sei schlank wie nie.

Von Stephan Lebert

Er isst weniger, in diesen Tagen, „ich versuche ein bisschen abzunehmen“, sagt Klaus Wowereit. Seit 412 Tagen ist er Regierender Bürgermeister, damals, vor dem Misstrauensvotum gegen Eberhard Diepgen, hieß es, er sei schlank wie nie. 14 Monate im Amt, ein paar Pfunde mehr. Und sonst?

Im Gesicht sieht man nichts, gar nichts. Würde man ein paar Fotos nebeneinander legen von ein paar spektakulären Momenten der Bürgermeisterzeit, Wowereit bei der Amtsübernahme, Wowereit mit Schuh und Sektglas, Wowereit beim Handschlag mit der PDS, Wowereit beim Zuwanderungsspektakel – immer das gleiche Gesicht, mal strahlend, mal etwas blass und glänzend, immer leicht maskenhaft, Pokerface. Spuren der Macht? Vielleicht hatte die Zeit dafür noch nicht ausreichend Zeit.

Klaus Wowereit sitzt ziemlich erholt in seinem Büro, trinkt Tee. 13 Tage war er in Urlaub, Griechenland, mit drei Tagen Unterbrechung, wegen des Rücktritts von Gregor Gysi, „der Urlaub war trotzdem schön“. Die ersten Tage zurück in Berlin ließ er es auch ruhiger angehen, er kam sogar mal zum Golfspielen. Und er erzählt, dass er neulich in kurzen Hosen im Blumenladen stand, um Blumen zu kaufen, „da haben die Leute vielleicht gestaunt, dass so ein Politiker wie ich das selber macht“.

Eine Nahaufnahme von Klaus Wowereit wird scheitern, das steht bereits fest, bevor sie begonnen ist. Das liegt erstens daran, dass er, wie vielfach beschrieben, jemand ist, der kaum etwas Persönliches erzählt, preisgibt, vielleicht, weil er es nicht will, vielleicht aber auch, wie selbst Vertraute manchmal vermuten, weil er das Private so weit von sich fern hält, dass er es manchmal selbst nicht mehr findet. Zum anderen liegt es am Prinzip: Die persönliche Nahaufnahme eines Politikers ist in unserer Medienwelt im Grunde längst ein Paradox geworden, denn angesichts der Gier der Medien nach Privatheit bleibt Spitzen-Politikern oft gar nichts anderes übrig als sich gewissermaßen zweizuteilen: Hier habt ihr mein öffentliches Bild, das ich inszeniere (mehr oder weniger geschickt), und zuhause bin ich anders und alleine mit meiner Wirklichkeit (oder dem, was davon dann noch übrig geblieben ist).

Fangen wir trotzdem für einen Moment mit diesem Spiel an, im Büro des Regierenden Bürgermeisters, aus dessen Fenster man übrigens in der Ferne ein paar Baukräne sieht – Kräne, auf die sich der Regierende später im Gespräch beziehen wird, „sehen Sie, da zum Beispiel wird gebaut, da entsteht was, das ist doch ein gutes Zeichen“. Hoffnung ist in Berlin anscheinend eine eher seltene Währung geworden, man holt sie sich, wo immer man sie bekommen kann.

„Herr Wowereit, wie sehr haben Sie sich, seit Sie im Amt sind, verändert? Was war das für ein Sprung, vom SPD-Fraktionsvorsitzenden zum Regierungschef?“

Er sagt, das Amt des Fraktionsvorsitzenden sei ein Amt, das ein ziemlich normales Leben erlaube, kaum registriert von der breiten Öffentlichkeit, ja, und der Regierende Bürgermeister werde Tag und Nacht beobachtet, „man muss sich immer unter Kontrolle haben. Man lebt in einer atypischen Situation, es ist schon eine Realität, aber eben eine ganz eigene. Man hat nie Zeit, nie ein Wochenende, nie Zeit für sich“. Unlängst, anlässlich einer Beerdigung eines guten Freundes habe er gemerkt, „wie weit es mit mir schon gekommen ist“. Das Begräbnis fand am 17. Juni statt, zur selben Zeit wie die öffentliche Erinnerungsfeier der Stadt an die Geschehnisse des 17. Juni 1953. „Ich habe doch tatsächlich überlegt“, sagt Wowereit, „ob ich zu dieser Beerdigung gehen kann, ob es dann heißen wird, wo ist denn der Wowereit schon wieder“. Trotzdem habe er sich dann für die Trauerfeier entschieden, „und das war natürlich richtig und eigentlich ja auch selbstverständlich“.

Nein, er möchte nicht jammern, nein, er würde das ja auch jederzeit wieder machen (und würde es, sagt er, wenn er entscheiden dürfte, auch gern bis zum Jahr 2009 bleiben). Er sagt, es sei natürlich gut für das Selbstbewusstsein, wenn man überall im Mittelpunkt steht, „früher war ich zum Beispiel bei einem Empfang der Berlinale immer Konsument, Zaungast, jetzt bin ich als Regierender Bürgermeister Akteur, alle kennen einen, alle kommen auf einen zu“. Er gilt als jemand, der sehr lange auf Parties bleibt, manchmal bis drei Uhr morgens, um dann trotzdem am nächsten Morgen sofort im Einsatz zu sein. Hat sich daran in letzter Zeit etwas geändert? Wowereit schmunzelt, „nein, wissen Sie, auch ein schlechter Ruf verpflichtet ja“. Nein, sein Stehvermögen sei immer noch in Ordnung, „mein Vorteil ist: Wenn ich nach Hause komme, kann ich sofort schlafen, ich brauche nicht noch ein Buch oder ein Glas Rotwein. Und morgens bin ich sofort fit. Mein Schlaf ist sozusagen netto“.

„Wird man einsam da oben, an der Spitze einer Regierung, an der Spitze der Macht?“

Er habe das bislang noch nicht festgestellt, sagt Wowereit, aber er sehe schon die Gefahr, weil er das auch bei anderen gesehen hat, „ich habe ja auch den Kanzler beobachtet“. Er versuche dagegen zu wirken. Und wie? Kontakt halten mit Freunden, sagt er, alte Cliquen nicht vergessen. Solche Sätze hört man von vielen Politikern.

Die Sucht spielt mit

„Der langjährige ,Spiegel’-Reporter Jürgen Leinemann vertritt die These, Politik macht süchtig. Ist da was dran?"

Wowereit sagt, er glaube schon, dass eine Art Sucht bei dem Job mitspiele, „sonst könnte man diese oft unglaubliche Anstrengung nicht leisten. Sie können diesen Job ja nur ganz oder gar nicht machen, nichtmal 150 Prozent geht, wenn 180 Prozent verlangt werden“. Sicher, es gebe viele anstrengende Berufe, „aber ich denke, es gibt keinen, der unter solch schwierigen Rahmenbedingungen abläuft, die ständigen öffentlichen Auseinandersetzungen, hinzu kommt, dass man nicht, wie andere Spitzenmanager, etwas anordnen kann. Man muss als Politiker immer versuchen zu überzeugen“.

„Haben Sie Verständnis für den Ausstieg von Gregor Gysi, seinen völligen Rückzug aus der Politik?“

Im Gegensatz zu anderen, sagt Klaus Wowereit, habe er dessen Entscheidung sehr gut verstanden, „gerade wenn man sich die Frage stellt, wie gestaltest du dein Leben in den nächsten Jahren, wie plant man einen längeren Zeitraum“. Bei Gysi, glaube er, seien verschiedene Sachen zusammengekommen, er sei gerade in Urlaub gewesen, mit seinem kleinen Kind, dann kam der Ärger mit den Flugmeilen… Nein, sagt Wowereit, er glaube nicht, dass Gysi auf diesen Moment schon länger gewartet habe, „aber ich hatte schon länger die These, wenn man ihn jetzt nochmal fragen würde, ob er den Wirtschaftssenator nochmal machen würde, nein, er würde es nicht tun“.

Wie gesagt, menschlich habe er für seine Entscheidung Verständnis, sagt der Regierende Bürgermeister, „politisch nicht, da würde ich immer sagen, man hört nicht einfach auf, das muss man sich dann schon vorher überlegen“. Politisch finde er es natürlich schade, dass Gysi nicht mehr dabei ist. Nach dem ersten Telefonat mit ihm, vom Urlaubsort in Griechenland, sei ihm sofort klar gewesen, „der wirft hin“. Er halte diese Reaktion für „politisch falsch“, wobei er aber schon finde, dass diese Miles-and-more-Sache kein Kavaliersdelikt sei, „da wusste jeder schon ganz genau, was er tat“.

Politisch. Da halte er den Absturz der PDS in den Umfragen für eine Rückkehr zur Normalität, „der Faktor Gysi hatte die PDS nach oben getrieben“. Politisch halte er auch Harald Wolf, den Nachfolger, für den richtigen Mann (wieder ein Fraktionsvorsitzender auf dem Weg nach oben). Der Politiker Klaus Wowereit. Strippenzieher, Stratege, Machtmensch, gerne ergänzt durch das Wörtchen „kalt“ – solche Etiketten wurden ihm oft angehängt in den letzten Monaten, vor allem, nachdem er die rot-rote Koalition durchgepeitscht hatte. Bei Amtsantritt im Frühsommer 2001 sah das noch anders aus. Da fragten sich viele, ob man die Geburtsstunde eines politischen Stars erlebe. Im Sommer 2002 kann man feststellen: Daraus ist erstmal nichts geworden.

Wie sich die Zeiten ändern. Das Berlin im Juni 2001 war noch anders: Es gab zwar bereits eine deutliche Ahnung, wie heftig die finanzielle Krise der Stadt sein wird, aber die Wirklichkeit wurde viel, viel schlimmer.

Die lähmenden Milliardenschulden der Stadt sind das eine, doch mindestens ebenso schwer wiegt ein immer stärker werdendes Gefühl, angefeuert von immer neuen Pleiten und schlechten Nachrichten: Berlin ist traurig, Berlin ist arm, Berlin ist ein Problem. Nichts ist mehr zu spüren von Aufbruchstimmung, von den Träumen einer Weltmetropole. Klaus Wowereit ist mit dem Begriff „Mentalitätswechsel“ angetreten, was bedeuten sollte, die Berliner müssen endlich den Ernst der Lage begreifen. Man könnte sagen, diese Botschaft ist angekommen.

Berlin pleite? Klaus Wowereit wird ein wenig ärgerlich, „Berlin ist nicht pleite, wie oft soll ich das noch sagen. Wir wären nur pleite, wenn wir nur das ausgeben würden, was wir einnehmen. Aber das ist ja nicht so, wir nehmen Schulden auf, wir bekommen Milliarden vom Länderfinanzausgleich… wir haben Geld… und wir werden auch viel Geld ausgeben“. Wie bitte? Fürchtet sich da einer plötzlich vor den Geistern, die er selbst gerufen hat? Hat er darüber schon mit seinem strengen Finanzsenator Sarrazin gesprochen? Wowereit hatte sich lange Zeit lustig darüber gemacht, wenn ihm mangelnde Visionen vorgeworfen wurden, „die Visionen von gestern“, sagte er gerne, „sind die Schulden von heute“. Aber so wichtig und unvermeidlich die Sanierung des maroden Haushalts ist, so klar scheint es den Verantwortlichen allmählich zu werden, dass eben allein das Projekt „Sparen“ eine Drei-Millionen-Einwohner-Stadt noch nicht am Laufen hält.

Die vage Vision

Und deshalb wird seit einigen Wochen ein neuer Mentalitätswechsel registriert: SPD-Chef Peter Strieder hat ein Visionspapier vorgestellt, und eben auch Klaus Wowereit hat inzwischen wiederholt von seiner „Berlin-Vision“ gesprochen, „eine offene, tolerante, großzügige und vor allem internationale Metropole muss Berlin werden, in der die verschiedensten Lebensmodelle und Nationalitäten leben“. Klingt vage, fast dürftig. Aber immerhin, Vision ist Vision. Auf keinen Fall, sagt Wowereit, dürfe Berlin eine Entwicklung wie Washington nehmen, als Zentrum der politischen Macht, der Lobbyisten, und nichts sonst, „dann wäre Berlin tot“.

Berlin, geschundene Stadt. Natürlich, sagt Klaus Wowereit, habe dieser Begriff immer noch seine Aktualität, „ich war neulich beispielsweise in München zu Besuch bei Siemens“, ohne die verdammte deutsche Geschichte wäre „dieser Konzern natürlich bei uns in Berlin“. Und natürlich sei der Ausverkauf von Intellektuellen, Künstlern, Wissenschaftlern auf Grund des Nazi-Terrors und auch der späteren Teilung nie mehr wirklich auszugleichen. Aber, nein, er will ja keine Depression verbreiten, und redet deshalb lieber von dieser „unglaublich spannenden Stadt“, von den vielen Menschen, die neu nach Berlin gekommen sind, von der Ausstrahlung, die Berlin gerade auf das Ausland hat, „da wird Berlin viel positiver gesehen als in Berlin selbst“. Man kann nur hoffen, dass sie in ihren Lexika nicht so schnell die Übersetzung des Wortes „pleite“ finden.

Klaus Wowereit ist als eine Art mediales Sonnenkind gestartet. Sein Outing wurde von den Medien höchst positiv aufgenommen, seine Ankunft in der ersten Liga der politischen Klasse von meist freundlich gestimmten Porträts begleitet. Das ist bereits nach einigen Wochen anders geworden. Er hat inzwischen eine Menge Prügel einstecken müssen, das fing an mit dem „Regierenden Partymeister“ und gipfelte in der allseits scharfen Kommentierung seines rot-roten Paktes. Wenn er heute darauf zurückblickt, blickt er auf diese Vorgänge vor allem technisch. Die Berichte über den Partygeher Wowereit „haben mich nur geärgert, weil sie von den gelben Seiten in den politischen Teil gewandert sind, dass also damit Politik gemacht wurde, nach dem Motto: Der feiert nur und arbeitet nichts. Na, ich kann Ihnen ja mal meinen Terminkalender zeigen“. Die Heftigkeit der Kritik an der PDS-SPD-Koalition hat ihn damals verwundert, aber er habe immer zu den Journalisten gesagt: „Ihr vertut euch da, das ist in dieser Stadt nicht das große Thema“. Wowereit ist nie wirklich auf die moralische Seite der Kritik eingegangen, ob es eben anständig sei, wenn gerade in Berlin die Kommunisten wieder an der Macht teilhaben. Das hat ihn nie interessiert.

Es könnte durchaus sein, dass seine Rechnung aufgeht. Seine Umfragewerte sind recht gut, die der SPD nicht schlecht. Helmut Kohl hat gerne den Satz gesagt: „Und die Karawane zieht weiter“. Manchmal scheint es so, dass jeder Neustart eines Politikers irgendwann bei Helmut Kohl endet.

Hat sich Klaus Wowereit verändert? In einem Punkt sicher, sagt er. Nach seinem Outing sei er sehr zurückhaltend mit dem Thema Homosexualität umgegangen, dies habe sich inzwischen geändert, „weil ich inzwischen denke, dass ich als schwuler Regierender Bürgermeister eine Verantwortung habe“. Er ist inzwischen als Wahlkämpfer aufgetreten, in Heidelberg, Göttingen und in München, dort im Wahlkreis von CSU-Hardliner Peter Gauweiler, und sagte unter anderem den Satz: „Gauweiler wollte früher Leute wie mich verjagen.“ Wowereit sagt, er möchte schon deutlich machen, was es für Folgen hätte, wenn Stoiber an die Regierung komme, dass zum Beispiel eben viele in der Union die Homo-Ehe wieder einkassieren wollen. Man dürfe sich da nicht täuschen, „ein schwuler Bürgermeister macht noch keine Liberalität“. Er habe sicher den einen oder anderen Angriff einstecken müssen, weil er schwul sei. Etwa den vom CDU-Fraktionsvorsitzenden Friedrich Merz, man müsse diesem Mann „doch nur in die Augen sehen“, um zu sehen, wie charakterlos der sei.

Vierzehn Monate Macht liegen hinter ihm. Und eine Reihe von Überschriften in den Zeitungen. Die „taz“ titelte: „Der regierende Bussi-Bär“. Ach, sagt Klaus Wowereit, „das fand ich niedlich“.

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