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Kultur: Die Straße meiner Kindheit

Der Sammler Wilhelm Schürmann über Kippenberger, Fotografie – und das Exotische des Hinterlands

Herr Schürmann, Sie gelten als einer der wichtigsten Kunstsammler Deutschlands, haben zahlreiche Ausstellungen eingerichtet. Nun hängen Ihre eigenen, Ende der siebziger Jahre entstandenen Fotoarbeiten in der Berliner Galerie Kicken. Wie fühlt sich der Perspektivwechsel an?

Es ist erstaunlich und sehr angenehm – fast wie ein Geschenk. Vor allem weil die Ausstellung mit keinem angestrebten Ehrgeiz als Fotograf zusammenhängt. Den habe ich für mich bereits vor 25 Jahren geklärt und nach einem anfänglichen Erfolg schnell zurückgestellt. Die Bilder entstanden nicht für eine Öffentlichkeit, sondern mussten einfach gemacht werden, damit ich sie mir angucken kann. Was damit passierte, war völlig zweitrangig. Die Organisation der Ausstellung und die gesamte Logistik hat nun die Galerie Kicken übernommen, und ich kann dazukommen wie ein Besucher meines eigenen Tuns. Und dass die Fotografien in der Galerie gelandet sind, mit der mich ein gemeinsamer Start verbindet, fühlt sich einfach richtig an.

Welcher Fotografie wollten Sie etwas entgegensetzen?

Was fehlte, war der Blick auf das Besondere im Normalen. Das Exotische, das sich vor der eigenen Haustür befindet. Die Suche nach einer ikonografischen Identität, die sich auch vom vorherrschenden Amerikanismus löste. Ein Schlüsselmoment war dafür 1976 Wim Wenders Film „Im Laufe der Zeit“, in dem er mit der Kamera an der damaligen Zonengrenze entlangfuhr. Das war so nah und gleichzeitig so anders. Diese Suche nach den eigenen visuellen Wurzeln lag in der Luft. Ich habe das später aufgegriffen und einen Umkreis von einem Kilometer der Straße fotografiert, in der ich aufgewachsen bin.

Waren Sie jemand, der immer eine Kamera dabeihatte – stets auf der Jagd nach dem nächsten Motiv?

Nein, die Fotografien entstanden ganz gezielt nach tagelangen Fahrten. Wir waren nach Aachen gezogen und entdeckten das so genannte Hinterland, was es für mich mit der Nähe zu Holland und Belgien und den dortigen großen Städten überhaupt nicht war. Die kulturelle Bandbreite und Undefiniertheit lässt sich allenfalls mit dem heutigen L. A. vergleichen. Für mich war das wie ein neuer Planet. Wie groß der Gegensatz zur deutschen Rechtwinkligkeit war, spiegelte schon die Alltagsarchitektur wider: Wenn zwei Nachbarn ihr Haus komplett unterschiedlich gestalteten und sich trotzdem eine Wand teilen. Letztlich berührt das auch etwas, was ich bis heute als Sammler verfolge: scheinbar unvereinbare Dinge zusammenzubringen. Selbst wenn es nur durch ein Nebeneinander ist.

Ein anderer Zusammenhang zwischen den Fotografien und Ihrer Sammlung ist die feine Ironie und eine Vorliebe für das Absurde. Der auf eine Häuserwand gesprühte Schriftzug „Die Analüse“ sieht aus, als stamme er von Martin Kippenberger, den Sie in der Zeit kennen gelernt haben.

Kippenberger kam etwas später, aber tatsächlich stammen wir beide aus Dortmund, und unsere Mentalität ist tief im Ruhrgebiet verankert. Der Humor hat aber auch etwas mit dem Geist dieser Zeit zu tun. Beuys hat gesagt, er denke sowieso nur mit dem Knie. Und zwar ohne niederzuknien. Man kann auch über ein Lachen Erkenntnis gewinnen.

Für das Ludwig-Museum entstand 1983 der Katalog „Song of Joy“ gemeinsam mit Martin Kippenberger. Wie kam es zu der Kooperation?

Wir hatten uns ein Jahr zuvor kennen gelernt, ich hatte eine Anfrage aus der Neuen Galerie Sammlung Ludwig, dort auszustellen. Dann habe ich Martin gefragt, ob er nicht mitausstellen wolle. Ganz unverkrampft, einfach aus Spaß an der Freud. Aber ich habe damals die Differenz zwischen Fotografie und Kunst im Bezug auf meine Produktion begriffen. Ich war noch in der Fotografiegeschichte verankert, während Kippenberger als Künstler komplett angreifbar in der Öffentlichkeit für das einstand, was er tat. Ich fotografierte Fotos ab, allerdings weniger als Konzept, wie später Richard Prince, sondern vor allem als Möglichkeit, mir Bildwelten anzueignen.

Danach haben Sie entschieden, die aktive Fotografie aufzugeben?

Ja, so wie Beuys gesagt hat: „Ich trete hiermit aus der Kunst aus“, bin ich aus der Fotografie ausgetreten. Ich konnte die Limitiertheit dieser „Fotti-Welt“, wie sie Kippenberger nannte, nicht mehr ertragen. Ich wollte mich nicht mehr tagelang damit beschäftigen, ob ein Bild gebräunt war oder die Grauwerte stimmten. Die Begegnungen mit Hans Haacke und Kippenberger haben mir im richtigen Moment einen anderen Blickwinkel eröffnet. Die Zeit war reif und meine Antennen waren draußen.

Ein Jahr später verkauften Sie Ihre Fotosammlung ans Getty-Museum. Wie kam es dazu?

Ich habe schon in der Zeit als Galerist gemerkt, dass ich eigentlich auf der anderen Seite des Tisches saß und die besten Stücke für mich behalten wollte. Als Kicken und ich uns 1978 trennten und ein Teil des Galeriebestandes in meinen Privatbesitz überging, musste ich diesen nachversteuern. Dann kam über einen Vermittler die Anfrage, 450 historische Fotografien zu übernehmen. Dass dahinter das Getty-Museum stand, habe ich erst danach erfahren. Der Erlös reichte auch noch als Startkapital für unsere Sammlung an Gegenwartskunst.

Seitdem haben Sie zahlreiche Ausstellungen eingerichtet: in Hamburg, Baden-Baden, München, Leihgaben sind im K 21 in Düsseldorf, 2007 werden Sie in der Sammlung Falckenberg ausstellen. Wie umfangreich ist Ihre Kollektion inzwischen?

Ich schätze so zwischen 1000 und 1200 Werke, je nachdem, wie man zählt. Man kann die Signifikanz der Arbeiten aber schlecht in Zahlen ausdrücken. Da kann eine winzige Fotografie für eine ganze Denkweise stehen, ebenso wie eine Installation, die sich aus ein paar hundert Einzelteilen zusammensetzt, wie bei Jason Rhoades. Auch in Ausstellungen interessiert es mich nicht, Besitz auszubreiten, sondern vielmehr, wie man die Zwischenräume dosiert. Die Deichtorhallen habe ich mir seinerzeit wie ein Dorf vorgestellt, mit Häusern, Straßen und Plätzen. Interessant wird es etwa, wenn das Zeigen oder das Beobachten vom Künstler mitgedacht wird, wie bei Franz Wests Installation „Schürmanns Lichtung“ oder Cady Nolands Arbeit über Patty Hearst.

In Ihren Ausstellungen entspinnen sich zwischen den Werken sehr feine Fäden, die verschwinden, wenn man sie festhalten will.

Ja, weil die visuelle Wahrnehmung viel komplexer ist, als es Worte auszudrücken vermögen. Mit didaktischen Ausstellungen, die auf einer These aufbauen, haben diese Präsentationen wenig zu tun. Ich kann so gar nicht mehr denken, so wie ich auch kein Buch mehr von Seite 1 bis Seite 812 lesen kann. Ich springe rein und wieder raus. Da wo man anfängt, da ist der Anfang.

Heute entwickeln sich manche Künstlerkarrieren in rasanter Geschwindigkeit. Wie schätzen Sie diese Situation ein?

Die Mediengesellschaft, mehr noch das Internet haben den Informationsfluss natürlich enorm beschleunigt. Aber ich würde auch heute noch einen Unterschied zwischen flaneurtauglicher Kunst machen, wo jeder gern dabei sein will, und einer Kunst, die eine längere Verweildauer einfordert. In der Kunst gibt es halt auch RTL 2, und nach anderem muss man länger suchen.

Wo werden Sie fündig?

Sicher nicht auf Kunstmessen allein. Diese aktuelle weltumspannende Dauermesse empfinde ich medial völlig überbewertet. Wobei viele herausragende Künstler heute in der Lage sind, gezielt für Messen zu produzieren.

Leidet im Überangebot nicht automatisch die Qualität?

Kunst war immer relativ selten. Und das ist sie heute noch. Wir müssen uns davon verabschieden, dass wir allem, was uns als Kunst vorgesetzt wird, auch gerecht werden müssen. Das ist doch in der Musik genauso: Ich kann nicht jeden Tag über Boygroups jammern, nur weil es angeblich keine wirkliche Musik mehr gibt. Da muss man sich eben woanders umhören. Man darf nur nicht glauben, ein großer Preis stehe immer auch für große Kunst.

Hat auch die Wettbewerbssituation unter den Sammlern zugenommen?

Aber hallo! Und das hat nicht unbedingt mit Geld zu tun. Das Wissen der Wissenden hat sich vergrößert. Vor zehn Jahren konnte ich mir noch locker bis zum Ausstellungsende Zeit lassen, um mich für eine Arbeit zu entscheiden. Darauf kann ich mich heute selbst bei widerspenstigen Arbeiten nicht mehr verlassen. Ich finde das aber sehr positiv, denn genau deswegen wird das ganze Ding auch nicht zusammenklappen.

Mit Ihrem Umzug nach Berlin, der noch in diesem Jahr geplant ist, rücken Sie nun näher an eine der wichtigsten Produktionsstätten zeitgenössischer Kunst. Wird es dann auch ein Museum Schürmann geben?

Nein, eindeutig nicht. Musealisierung ist nicht das, was meine Frau und ich anstreben, und das steht Privatpersonen auch gar nicht zu. Aber es wird einen Ort geben, wo die Kunst, von der wir glauben, dass sie gesehen werden soll, sichtbar werden wird.

Das Gespräch führte Katrin Wittneven. Die Ausstellung in der Galerie Kicken (mit Werken von Heinrich Riebesehl) läuft bis zum 28. Februar (Linienstraße 161 A), Termin nach Vereinbarung, Tel. 288 77 882.

Wilhelm Schürmann (59) führte zusammen mit Rudolf Kicken von 1974 bis 1978 eine der ersten Fotogalerien Deutschlands. Heute ist er Sammler, Kurator und Hochschullehrer in Aachen.

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