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Kultur: Die strenge Disziplin des Luxuriösen

Neues Bauen: die Villa Wall von Kleihues am Wannsee

Eine herrschaftliche Villa zu entwerfen, das war für Hermann Muthesius, Peter Behrens, Bruno Paul oder Cäsar Pinnau ein architektonisches Schaulaufen, ein Ereignis, durch das sie auch selbst in die höhere Gesellschaft Eingang fanden. Mittlerweile ist den Architekten diese begehrte Bauaufgabe abhanden gekommen, zumindest in Berlin. Das größte Villengebiet Europas vom Ende des Kurfürstendamms über Dahlem und Grunewald, Nikolassee bis Wannsee und darüber hinaus bis Babelsberg bietet so viel attraktiven Altbestand, dass sich für jeden Grad der gesellschaftlichen Stellung und jedes Repräsentationsbedürfnis das passende Objekt finden lässt. Hinzu kommt, dass sich in einem prächtigen Neo-Rokoko-Schlösschen an der Hundekehle nach landläufiger Meinung eben besser Hof halten lässt als in einem modernen Neubau auf irgendeinem Lückengrundstück, und sei er noch so aufwändig und architektonisch untadelig ins Werk gesetzt. Zudem hat sich der Lebensstil des gehobenen Klientels gewandelt. Die Familie ist kleiner, statt fünf Bediensteter reichen ein oder zwei, man lebt privater und verbringt freie Zeit lieber an Lido oder Lago.

Der Neubau von Einfamilienhäusern mit repräsentativem Charakter, „Luxusvillen“ gar, steht also in Berlin nicht auf der Agenda und die Beispiele aus den vergangenen fünf Jahren lassen sich an den Fingern einer Hand abzählen. Eines davon steht in Wannsee und wurde von Josef Paul Kleihues entworfen. Bauherr ist der mit Außenwerbung in Berlin, in anderen deutschen Städten und in den Niederlanden, in Russland, in der Türkei sowie in den USA erfolgreiche Unternehmer Hans Wall. Die Randbedingungen paradiesisch: ein großzügiges, doch nicht zu weitläufiges Grundstück, nach Osten sanft abfallend, mit Kaimauer, Badestelle und Anleger am Seeufer, die Erschließung von Westen durch die ruhige Nebenstraße. Die Lage des Hauses an der Straßenseite des Grundstücks ergab sich von selbst, wenngleich Kleihues durch leichte Drehung die Achse des Gartens als Bezug aufnahm. Nach Westen wählte Kleihues eine zurückhaltende Disposition mit schlichter, eher verschlossener Fassade des breit gelagerten zweigeschossigen Baukörpers. Davor der Wagenhof, rechterhand beigestellt das Garagenhaus, dem zur Linken, der Symmetrie der Gesamtanlage gehorchend, das Gästehaus entspricht. Ohne Pomp und geradezu beiläufig wird der Gast empfangen, für den Zeremonienmeister ist kein Platz vorgesehen.

Die Symmetrie lässt es aber ahnen: Die Gartenfront entwickelt sich in geradezu barocker Manier mit Gartensaal und Piano Nobile, hausbreit vorgelagerter Terrasse und breiter Freitreppe. Die beiden flankierenden Häuschen für Gäste und Karossen ergänzen das Ensemble in der Art der palladianischen Villa. Zu einem französischen Parterre ist es allerdings nicht gekommen; als pleasure ground zwischen hohen Bäumen begleitet eine Rasenfläche den Blick hinab zum Wasser (Gartengestaltung: Büro Kleihues und Cornelia Müller).

Spätestens an dieser Stelle ist über den Stil des Hauses zu reden. Als zeitgemäß-modern kann man es nicht bezeichnen, doch gehört es auch nicht in die Kategorie des Neohistorismus nach Art der Retrovillen von Kollhoff oder Kahlfeldt. Heller portugiesischer Sandstein (wie ihn der Architekt bei den Häusern Sommer und Liebermann neben dem Brandenburger Tor eingesetzt hatte), abwechselnd als hohe glatte Lagen und schmale Simsbänder mit Bruchoberfläche vermauert, kleidet das disziplinierte Haus. Bilder von Behrens’ Haus Wiegand und Mies van der Rohes Haus Urbig werden in Erinnerung gerufen, vermischt vielleicht mit Schinkels Pavillon in Charlottenburg. Kleihues bedient sich einer verhaltenen Frühmoderne ohne falsche Säulen der Jahre um 1910, die sich ihrerseits an der Zeit „Um 1800“ (so das damals einflussreiche Buch von Paul Mebes) orientiert hat. Und er schlägt den Bogen von Palladio zu Muthesius, indem er einerseits Grund- und Aufriss einem feinsinnigen Symmetrie-, Maß- und Proportionensystem unterwirft und andererseits auf die Funktionalität der Räume, die Anmut und Behaglichkeit großen Wert legt.

Die Qualität des Hauses liegt darin, dass an alles gedacht und für alles gesorgt ist, ohne dass überspannter Luxus geboten wäre. Kein Raum ist größer als wirklich wünschenswert, kein Raum überflüssig. Dass die beiden Kinder jeweils über ein eigenes Bad verfügen, dass es einen extra Fernsehraum mit Großbildschirm gibt, mag man als Luxus empfinden, entspricht aber wie das Schwimmbad mit Wellness-Bereich im Untergeschoss dem Standard dieses Bautyps.

Bleibt die Frage: Ist die Symmetrie des Hauses, die den Errungenschaften der Moderne zuwider läuft, heute legitim? Die alles durchdringende Maßordnung des Hauses wird man heute sicher nicht als lebensnotwendig erachten, doch sie beruhigt das Auge und die Empfindungen. Die Symmetrie als Ausdruck des menschlichen Geistes widerspiegelt eine seit der Renaissance beliebte Idealvorstellung vom Artefakt inmitten einer wunderbaren Gartenlandschaft von überhöhter Natürlichkeit. So gesehen ist es eine zeitlose Aufgabe, die der Architekt prototypisch gelöst hat.

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