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Kultur: Die Sucht hört nie auf

Zurück in der Zukunft: Nach 12 Jahren erscheint ein neues Album der Grunge-Band „Jane’s Addiction“

Die Auflösung einer Band ähnelt dem Ende einer Liebesbeziehung: Man streitet sich in immer kürzeren Abständen – bis schließlich nur noch die Trennung bleibt. Danach redet man eine Weile schlecht übereinander und geht sich aus dem Weg. Ein paar Jahre später haben sich beide Seiten meist ein bisschen entspannt und treffen sich mal auf einen Drink. Entweder hat man sich dann gar nichts mehr zu sagen oder es ist doch noch etwas da – die Chance für einen neuen Versuch.

Perry Farrell und Dave Navarro trennten sich 1991. Es ging einfach nicht mehr: Ständig gerieten der Sänger und der Gitarrist hinter der Bühne aneinander, brüllten herum, wurden handgreiflich. Und die Drogen machten alles noch schlimmer. So zerbrach ihre Band „Jane’s Addiction“ nach sieben Jahren und drei Alben, mit denen sie zu den Vorkämpfern des Genres Crossover/Alternative-Rock geworden waren. Farrell gründete mit dem Drummer eine neue Gruppe, Navarro ging mit dem Bassisten zu einer anderen und spielte später vier Jahre bei den Red Hot Chili Peppers.

Lange halten sie Abstand. Doch irgendetwas ist da noch. Beide spüren es. Nach sechs Jahren kommt es zur Versöhnung. Die Band startet sogar eine Reunion-Tour (mit Chili Peppers-Bassist Flea). Doch es ist zu früh: Farrell und Navarro fetzen sich erneut, greifen wieder zu harten Drogen und trennen sich zum zweiten Mal. Dass sie danach jemals wieder in derselben Band spielen würden, scheint fast so unwahrscheinlich wie die Wiedervereinigung der Beatles – zumal beide 2001 ihre Solo-Debüts präsentieren. Aber sie kommen einfach nicht voneinander los und wagen tatsächlich wieder einen Comeback-Versuch: „Wir haben jeder viele verschiedene Wege beschritten, aber wir sind zusammengekettet – wie im Gefängnis“, sagt Farrell.

Für Gefangene sehen er, Navarro, Drummer Stephen Perkins und Bass-Neuerwerbung Chris Chaney erstaunlich gut aus. Drahtig und aufgeräumt schaut das Quartett vom Cover der neuen CD „Strays“ (Capitol/EMI), dem ersten Studioalbum seit 13 Jahren. Jane’s Addiction Sie lassen es kräftig donnern: Energie, Speed und Wahn – alles noch da. Es ist wie eine Reise zurück ans Ende der Achtzigerjahre, zurück in die große Zeit ihrer Band, die parallel zur Grunge-Welle von Nirvana und Mudhoney die Schönheit des Lärms entdeckte.

Perry Farrell und Dave Navarro waren ein schillerndes Paar: Der androgyne Farrell trug seltsame Kostüme, Make-Up und Dreadlocks. Er sah aus wie ein durchgeknallter Bruder von Boy George, konnte aber viel besser singen. Der acht Jahre jüngere Gitarrist Navarro wirkte unter seinen schwarzen Hüten wie ein zarter, finsterer Rockengel. Zusammen mit dem Drummer Stephen Perkins und dem Bassisten Eric Avery gründeten sie Mitte der Achtziger in Los Angeles Jane’s Addiction. Ihr Debüt war ein Live-Album, das 1987 auf einem kleinen kalifornischen Punk-Label erschien. Kurz darauf bekamen sie einen Vertrag bei dem Branchenriesen Warner, wo sie innerhalb von zwei Jahren mit „Nothing’s shocking“ und „Ritual de lo Habitual“ zwei legendäre Alben herausbrachten. Jane’s Addiction mischten Elemente aus Metal, Funk, Prog-Rock und Punk auf nie gehörte Weise und ragten damit aus der von Hardrock und Heavy Metal dominierten Musiklandschaft wie ein mutiertes Fantasiegewächs heraus. Auf ihren Plattenhüllen waren zusammengewachsene Frauengestalten mit brennenden Köpfen zu sehen oder nackte Pappmache-Figuren, die sich auf einem reich dekorierten Bettgestell räkelten.

Ihre Songs wurden angetrieben von hypernervösen Polyrhythmen, über denen sich die Gitarre in wahre Orgien hineinsteigerte. Dazu sang Perry Farrell mit seiner exaltierten Stimme über Ladendiebstahl, einsame Frauen oder den Ozean. Auch „Strays“ funktioniert nach diesem Prinzip, wirkt durch die Produktion von Bob Ezrin (Alice Cooper, Kiss) jedoch einen Zacken metallischer. Sehr gut passt das zur Single „Just because“, auf der die Alarm-Riffs von Navarro und der nölige Gesang von Farrell sich perfekt ineinander fügen – ein echter Sommerhit. Als sich die Band im März letzten Jahres im Studio traf, hatte sie noch keinen einzigen Song. Doch die alte Magie zwischen Navarro und Farrell wirkte noch: „Die Songs sind organisch und sehr intuitiv. Das ist schwer zu erklären, es passiert einfach“, sagt Dave Navarro. So erinnert vieles an die alten Zeiten: „Wrong Girl“ könnte von der letzten Platte stammen und „Superhero“ klingt wie ein Stück der Red Hot Chili Peppers aus der Zeit mit Dave Navarro an der Gitarre.

Die Jungs sind ruhiger geworden

Jane’s Addiction sind heute weniger humorvoll und experimentierfreudig. Mitunter entsteht der Eindruck, sie wollten unbedingt beweisen, dass sie immer noch rocken können bis die Ohren schmerzen. Doch meist dauert es nicht lang, dann löst Farrell die Spannung und düst einfach mit „Hypersonic“-Antrieb auf eine andere Ebene.

Sein Gesang ist eindeutig die größte Attraktion auf „Strays“. Es ist ein grundsolides Album, mit dem die Band im gegenwärtigen Retro-Rock-Revival locker mithalten kann. Auch auf die Bühne sind Jane’s Addiction diesen Sommer zurückgekehrt – ebenfalls genau an die Stelle, wo sie 1991 aufgehört haben: zum Lollapalooza-Festival. Die Idee zu diesem Alternative-Rock-Wanderzirkus, der in den Neunzigern zu einem Riesenspektakel wurde, hatte Perry Farrell gehabt. Wie bei der ersten Ausgabe des Festivals spielen Jane’s Addiction wieder als Headliner. Eines wird jedoch dieses Mal sicher anders sein: Farrell und Navarro werden sich hinter der Bühne vertragen.

Denn die beiden lassen inzwischen die Finger von Drogen und Groupies. Auch sonst sind sie ruhiger geworden: Der 44-jährige Sänger hat eine Familie, und der 36-jährige Gitarrist freut sich, wenn er die Abende mit seiner Kuckucksuhren-Sammlung und „Bay- Watch“-Star Carmen Electra verbringen kann.

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