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Kultur: Die Totmacher

Von Menschen und Mördern: Debbie Tucker Greens „Stoning Mary“ als deutsche Erstaufführung an der Berliner Schaubühne

„Hmm“, sagt die Frau. „Ähm“, antwortet der Mann. Minutenlang. Solche Dialoge kennt man aus der Schaubühne. Allerdings stehen sie diesmal nicht für die lustig-beredte Sprachlosigkeit bürgerlicher Liebesehepaare im vorgerückten Stadium, sondern für den hoffnungslosen Versuch, sich aus existenziellen Problemen herauszuschweigen. Die tatsächlich außerhalb des Formulierbaren rangierende Tatsache, die die Frau (Jule Böwe) und der Mann (André Szymanski) hier mit ihren „Hmms“ und „Ähms“ umkreisen, sitzt wenige Schritte von ihnen entfernt auf einem Stuhl: ihr schätzungsweise zwölfjähriger Sohn (Rafael Gareißen) – ein fremdes, kahl geschorenes Kind mit Waffe und Pokerface, das gerade aus einem Krieg zurückgekehrt ist.

Die britische Dramatikerin Debbie Tucker Green – vom „Independent“ als eine der „überzeugendsten und außergewöhnlichsten“ neuen Theaterstimmen gefeiert – verknüpft in „Stoning Mary“ die Ebene des Kindersoldaten mit zwei weiteren existenziellen Konstellationen: Das Kind tötet ein Ehepaar (Bettina Hoppe und Christoph Gareisen), das gerade dabei ist, eine Situation zu verhandeln, die man ohne irreversiblen Würde- und (Selbst)Achtungsverlust definitiv nicht verhandeln kann: Beide sind an Aids erkrankt und müssen entscheiden, wer von ihnen daran sterben wird, weil das Geld nur für ein Rezept mit den lebenswichtigen Medikamenten reicht. Auf einer dritten Handlungsebene schließlich besucht die ältere Tochter dieses Ehepaars (Lea Draeger) ihre jüngere Schwester Mary (Elzemarieke de Vos) im Gefängnis. Mary hat den Kindersoldaten – den Mörder ihrer Eltern – getötet und soll dafür gesteinigt werden.

„Stoning Mary“ ist weniger ein realistisches Drama als ein exemplarisches Konstrukt. Es betont die Modellhaftigkeit der Biografien und Vorgänge: „Das Stück spielt in dem Land, in dem es aufgeführt wird“, lautet eine Regieanweisung. Benedict Andrews, der Regisseur der deutschsprachigen Erstaufführung in der Schaubühne, hat sich strikt an diese Modellhaftigkeit gehalten. Er knüpft sozusagen nahtlos an die szenische Lesung des Stücks an, die er letztes Jahr am selben Ort beim „Festival der internationalen neuen Dramatik“ eingerichtet hatte: Andrews hat sich für die komplette Reduktion – fast könnte man sagen: Verweigerung – szenischer Vorgänge entschieden. Die Schauspieler sitzen im casual look – Jeans, Trägerhemdchen, Sweatshirt, Jogginghosen – frontal vor dem Publikum. Wer an der Reihe ist, steht auf, tritt fünf, sechs Schritte nach vorn, spricht seinen Part in eines der bereitstehenden Mikrofone und nimmt wieder Platz. Lediglich Mary schert maßvoll aus diesem Prinzip aus, scheitert – eine Regiemaßnahme, die die Figur seltsam putzig wirken lässt – wiederholt an der korrekten Einstellung des Mikros und bekommt größeren Spiel-Raum, je näher ihre Hinrichtung rückt.

Die minimalistische Methode ist natürlich eine einleuchtende Abstraktionsmaßnahme, zumal das Stück genügend Kraft dafür besitzt. Allerdings handelt es sich gleichzeitig auch um die nächstliegende Lösung – und ist insofern eine verhältnismäßig leichte Regieübung. Debbie Tucker Greens Dialoge sind gut durchdachte verbale Fluchtbewegungen: Statt das Eigentliche, schwer Erträgliche zu thematisieren, attackiert man einander auf den bewährten, sorgfältig aufgerichteten Nebenschauplätzen. In jenen Passagen, in denen die Schauspieler dieser Dynamik überzeugend Intensität abgewinnen, schleichen sich im Laufe des Abends auch Momente ein, die die Grenze zur Betroffenheitsproduktion streifen.

Wieder am 5., 8. und 9. Mai (19 Uhr 30) sowie am 24., 28. und 29. Mai (20 Uhr)

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