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Aufbruchsstimmung. Gunnar Cynybulk, 44, (l.) und Reinhard Rohn, 56, in den Verlagsräumen in Berlin-Kreuzberg.

© Tobias Bohm

Aufbau Verlag: Die Tradition von morgen

Der Aufbau Verlag wird 70. Bei den Verlegern Gunnar Cynybulk und Reinhard Rohn im Verlagshaus am Moritzplatz in Berlin herrscht Aufbruchstimmung.

Es ist nicht leicht, die Räume des Aufbau Verlags am Moritzplatz zu finden. Im Aufbau Haus, na klar, da hat der Verlag seinen Sitz. Aber in dem Haus, das 2011 eingeweiht wurde, gibt es auf einer Fläche von 17 000 Quadratmetern noch viele andere Mieter: ein riesiges Kunstmaterialfachgeschäft zum Beispiel, einen Spielzeugladen, eine Buchhandlung, ein Sinti-und-Roma-Kulturzentrum, ein Theater und mehr. Es gibt diverse Aufgänge und Ebenen, und auch das verkehrsreiche Drumherum des Moritzplatzes wirkt urban und lebendig. Was gerade einem Verlag wie Aufbau nur zugutekommen kann. Die Tradition scheint da gleich weniger beschwerend zu wirken.

Dazu passt, dass die Aufbau-Verlagsleiter Gunnar Cynybulk und Reinhard Rohn, so wie sie einem an diesem heißen Vormittag in Cynybulks Büro gegenübersitzen, eine sympathisch gelassene Beschwingtheit ausstrahlen. Zurückhaltende Aufbruchstimmung könnte man es auch nennen, gerade unter dem Eindruck des 70-jährigen Jubiläums, das der Verlag in den kommenden Wochen feiert. Beide sind seit Jahren im Verlag tätig und wurden Anfang 2014 von Aufbau-Eigner Matthias Koch dazu erkoren, die Arbeit der überraschend geschassten Geschäftsführer René Strien und Tom Erben zu übernehmen. Angesichts des Jubiläums kommt Cynybulk so gleich auf die Tradition zu sprechen und wie sehr man sich dieser bewusst sei als „Substanz“ des Verlages, mit den Autoren des Exils und der modernen Klassik und ihren Büchern.

Er schränkt jedoch sofort ein: „Aber man darf sich darauf nicht ausruhen. Wir haben zweierlei verstanden: Man muss diese Tradition immer neu definieren. Für Victor Klemperer zum Beispiel müssen wieder neue Leser gefunden werden. Jede Generation muss ihre Klassiker neu finden. Da ist es ein anderes Signal, Daniel Kehlmann als jüngeren Autor das Revolutionstagebuch Klemperers von 1919 bei der Premiere vorstellen zu lassen – und nicht Martin Walser, der ja ebenfalls ein großer Klemperer-Fan ist.“ Und Cynybulk ergänzt, ganz im Sinn seiner Antrittsworte vor anderthalb Jahren: „Das andere, was uns wirklich wichtig ist: auf die Gegenwartsliteratur zu setzen, die Klassiker von morgen zu finden. Das ist unser Ziel!“

Journalistin Ronja von Rönne unter Vertrag

Cynybulk lächelt hinter seinen Brillengläsern hervor, als er das sagt, wohl wissend, dass solche Sätze als Anmaßung, als allzu ambitioniert verstanden werden könnten. Aber er scheint ein Mann ohne Umschweife zu sein und verweist sogleich auf einen „Paradigmenwechsel“, der sich im Haus und im Aufbau-Programm zeigen werde, unter anderem mit der Verpflichtung der 23 Jahre alten „Welt“-Journalistin Ronja von Rönne, die im Sommer mit ihren Texten und einem Auftritt beim Klagenfurter Bachmann-Lesen für Aufsehen sorgte. Ihr Debütroman erscheint im Frühjahr bei Aufbau. Einwände lässt Cynybulk gelten, darauf wartet er geradezu: „Na klar, schrill ist nicht gleich substanzhaltig.“

Und er ist gern auch Werber in eigener und anderer Sache. „Ich würde da mal abwarten: Das ist ein starker, guter Text von von Rönne. Sie steht für eine Farbe des Erzählens, die wir bisher nicht hatten. Zum Beispiel: Was ist ein weiblicher Dandy? Bei jungen Autoren können sie sowieso immer nur etwas erahnen, nur instinkthaft vorgehen. Man weiß nie, wie tief der Brunnen ist, aus dem die Stoffe gehoben werden. Klar, Aufbau stand nie ganz vorn, was Trends angeht. Aber wir trauen uns das zu!“

Blick in das neue Haus des Aufbau Verlags am Moritzplatz

© dpa

Tatsächlich ist es noch etwas gewöhnungsbedürftig, wenn bei Aufbau junge, trendige, im weitesten Sinne mit Pop in Verbindung stehende Literatur erscheint. Was gar nicht so sehr mit der Tradition zu tun hat, mit Aufbau-Klassikern wie Anna Seghers, Erwin Strittmatter, Bertolt Brecht oder Hans Fallada. Nein, das liegt vielmehr an dem bunten Programm der vergangenen zwei Jahrzehnte, an der Mischung aus Boulevard und anspruchsvoller Literatur, dem Übergewicht von Unterhaltungs- und Spannungsliteratur, erst unter Bernd Lunkewitz als Verleger und nach dessen Abgang 2008 unter René Strien und Tom Erben.

Seit 2012 jedoch gehört zu Aufbau auch der Blumenbar Verlag, der gezielt auf junge Literatur setzt. Und 2013 gründete Matthias Koch mit zwei anderen Gesellschaftern einen weiteren Verlag, der explizit für Popkultur zuständig sein soll: den Metrolit Verlag, den Peter Graf und Anais Walde leiten. Wobei Metrolit nicht zur Aufbau-Verlagsgruppe im engeren Sinn zählt. Zu der gehören nur die Marken Aufbau und Blumenbar, unter der Leitung des 44 Jahre alten Cynybulk, sowie Rütten& Loening und Aufbau Taschenbuch, denen der 1959 geborene Rohn vorsteht.

Metrolit, die Edition Braus und die Andere Bibliothek stellen Sonderfälle da: „Wir sind verwandt, Cousins gewissermaßen“, sagt Rohn und erklärt, dass gerade hinsichtlich des kreativen Gedankenaustauschs, aber auch der Veröffentlichung von Hörbüchern oder dem Verkauf der Taschenbuchrechte die Verbindungen eng sind. Doch Metrolit-Bücher beispielsweise könnten später als Taschenbücher durchaus woanders hin verkauft werden.

Die Dinge sind da ein wenig kompliziert im Aufbau Haus mit Matthias Koch als Besitzer, mit einem neu eingerichteten Beirat, dessen Mitglieder allerdings noch gesucht werden und der auch anderen Unternehmungen Kochs zur Seite stehen soll, mit den vielen unterschiedlichen Verlagen (zum Beispiel hat auch der Wiener Ueberreuter Verlag seinen Sitz im Haus, mit dem gibt es aber bloß eine Vertriebspartnerschaft).

Doch all das wirkt wie eine Kleinigkeit, schaut man sich die turbulente Geschichte des Verlags der vergangenen 70 Jahre an: Gegründet am 16. August 1945 von Heinz Willmann, Kurt Wilhelm und Gregor Gysis Vater Klaus, dem späteren DDR-Kulturminister, um den Belangen des Kulturbunds „zur demokratischen Erneuerung Deutschlands“ nachzukommen, entwickelte sich Aufbau in der DDR zum Auffangbecken für zurückkehrende Emigranten. Der Verlag veröffentlichte Bücher von Brecht, Seghers und Johannes R. Becher, dem ersten Kulturbundpräsidenten, von Hans Fallada, Gerhart Hauptmann, Ernst Niekisch. Er wurde von Thomas Mann 1951 als „Staatsverlag der DDR“ bezeichnet, dann wieder von anderen als „Suhrkamp des Ostens“, machte sich mit wohledierten Klassikerausgaben einen Namen, verlegte Titel aus dem Westen, aber auch Regimekritisches aus der DDR, von Irmtraud Morgner und Heiner Müller, von Bert Papenfuß oder Peter Brasch.

Nach der Wende lag der Verlag danieder. Von 15 Millionen DDR-Mark vor der Währungsunion 1990 sank der Jahresumsatz auf 30 000 D-Mark. Zwei Drittel der Belegschaft von 180 Mitarbeitern mussten gehen, bis Bernd Lunkewitz 1991 auf den Plan trat und dem Verlag wieder eine solide Basis verschaffte mit einem Jahresumsatz von rund 14 Millionen Euro und Überraschungsbestsellern wie den Klemperer-Tagebüchern.

Kreativhaus am Moritzplatz

Allerdings stürzte Lunkewitz Aufbau erneut in eine schwere Krise, als er 2008 knall auf Fall den Bettel hinwarf. Matthias Koch erwarb mit seiner Familie den Verlag, führte ihn durch die Insolvenz und siedelte ihn in seinem „Kreativhaus“ an, das am Moritzplatz auf dem Grundstück des einstigen Bechsteinhauses entstanden ist. Viel Erfolg hatte Aufbau dann mit der Wiederveröffentlichung von Hans Falladas Roman „Jeder stirbt für sich allein“, aber auch mit Spannungsautoren wie Deon Meyer und Fred Vargas.

Gunnar Cynybulk macht im Gespräch und gerade an der Seite von Rohn keinen Hehl daraus, dass er trotz seines ambitionierten Anspruchs, „erste Anlaufstation für relevante deutsche Gegenwartsautoren“ zu werden, sehr gut um sein „Brot-und-Butter-Geschäft“ weiß, wie er das nennt: „Wir sind übrigens in diesem Jahr der dritterfolgreichste Sachbuchverlag, mit den Büchern von Tom Pauls, Gysi/Schorlemmer und Manfred Flügge über die Manns – das ist das Fundament.“ Und er sagt: „Wir sind nicht ganz an der Spitze, wir sind nicht die sexiesten, das meiste Geld haben wir auch nicht – aber mit viel Textarbeit und Autorenpflege, mit guten Ideen, mit dem Anspruch, schneller, beweglicher als andere zu sein, lässt sich viel machen.“

Als er und Rohn schließlich noch eine kleine Führung durch die Verlagsräume machen, bekommt man den Eindruck, wie viel hier wirklich noch in Bewegung geraten kann: So großzügige Räume! So viel Platz! So ein schöner Blick in den Himmel von Berlin!

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