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Kultur: Die Trompeten von Zece Prajini

Am Ende der Welt spielt die Musik: „Brass on Fire“ von Ralf Marschalleck und Tony Gatlifs „Swing“

Von Susanna Nieder

Zece Prajini ist ein Dörfchen im Nordosten Rumäniens. Im Winter versinkt es im Matsch, im Sommer wirbelt Staub auf, wenn ein Auto über die ungeteerten Wege holpert. Die Leute sind arm, vom Fortschritt im Westen fast abgeschnitten - und sie können Musik machen, dass man die Ohren anlegt.

Blechblasmusik ist überhaupt kein Ausdruck für das balkanische Donnerwetter, das die zwölf Musiker von Fanfare Ciocarlia veranstalten, mit halsbrecherischen Rhythmen und meistens in rasendem Tempo. Noten liest hier keiner, die Kunst wird von Generation zu Generation weitergegeben; das Romadorf jenseits der Karpaten ist einer der wenigen Orte, wo sie überhaupt überlebt hat. Bis vor ein paar Jahren interessierte das niemanden bis auf die Bewohner der umliegenden Dörfer, die die Tzigani-Kapelle für Hochzeiten und Taufen anheuerten.

Doch eines Tages tauchte ein hagerer Sachse ns Henri auf, der der Ry Cooder von Zece Prajini werden sollte. Bis nach Japan ist er mit Fanfare Ciocarlia gereist, auch in Berlin wurden sie schon bejubelt. Die Gruppe hat den Erfolg mit ihrer Teufelsmusik verdient – und da sollte wohl auch ein Film nicht fehlen. Doch Autor und Regisseur Ralf Marschalleck ist leider kein Wim Wenders.

Brass on Fire ist ein Sammelsurium aus Doku und Drama, aus nicht zuende erzählten Geschichten, nichts Halbes und nichts Ganzes. Es gäbe viel zu berichten vom Leben der Roma aus Zece Praijni. Wie haben sie ihre Musik gerettet, wenn sonst fast keiner sie mehr spielt, wie Ceaucescu überlebt, wie den plötzlichen Ruhm verkraftet? Wer ist der gelähmte Alte, der ihre Blechblasinstrumente repariert? Auf Händen schleppt er sich aus dem Haus und verschwindet wie eine heidnische Gottheit hinter den Rauchschwaden seiner Feuerstelle. Von den Akteuren hält Marschallek sich jedoch fern. Statt die Jungs einfach mal reden zu lassen, stellt er ausgedachte Szenen nach, die hölzern daherrumpeln, und verspielt jedes Mal die Chance, wirklich eine Geschichte zu erzählen.

Ähnlich ist es mit Swing, in dem es um die Musik der Sinti und Roma im Osten Frankreichs geht. Wie „Brass on Fire“ mischt dieser Film von Altmeister Tony Gatlif erzählerische und dokumentarische Elemente. Die Welt der Sinti-Familie Reinhardt wird durch die Augen des behüteten Jungen Max gezeigt, der seine Sommerferien mehr im Wohnwagen des Gitarristen Miraldo verbringt als im Haus seiner Großmutter und mit dem Mädchen Swing seine erste Liebe erlebt. Wie die Sinti leben, wie sich Miraldo mit einem Juden und einem Araber zusammentut und die Musik zu einem multikulturellen Ereignis verschmilzt, wie seine uralte Mutter unter Tränen von den Schikanen des Dritten Reichs erzählt, wie Miraldo stirbt und seine Habe nach alter Tradition verbrannt wird - all das hätte man lieber in einem Dokumentarfilm gesehen als durch eine schlaffe Storyline verbunden. Was in beiden Fällen bleibt: die Musik.

Beide Filme im Eiszeit und Kant; „Brass“ außerdem in den Hackeschen Höfen, „Swing“ im Central

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