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Kultur: Die U-Boote des Theaters

Zum Streit um ein NS-Stück in Erlangen: Was Hans Rehbergs „Wölfe“ wirklich sind

Von Peter von Becker

„Wir wollten eine Diskussion anregen“, sagt die Erlanger Theaterintendantin Sabina Dhein, „und das zumindest ist uns gelungen.“ Dazu lacht sie mit wohl selbstkritischer Ironie. Erlangen ist plötzlich im Gespräch, weil dort eine Inszenierung von Hans Rehbergs 1943/44 entstandenem KriegsStück „Die Wölfe“ angekündigt war. Dagegen haben der Publizist Ralph Giordano und der Schriftsteller Günter Kunert als Verfolgte des NS-Regimes protestiert und nach allerlei öffentlichen Diskussionen sind auch die politischen Gremien der fränkischen Universitätsstadt in heller Aufregung. Nun sollen die „Wölfe“ erst mit „kritischen Begleitveranstaltungen“ zum Thema herauskommen.

Vom kriegsverherrlichenden U-Boot-Drama, vom heroisch nazistischen „Durchhaltestück“ ist die Rede. Denn der Autor Hans Rehberg (1901-1963) war Mitglied der NSdAP und der prominenteste Dramatiker des Nazireichs. Prominent allerdings auch durch seine Sonderrolle: Rehberg galt nie als Blut-und-Boden- (oder gar Blut-und-Hoden-) Dichter, ja nicht einmal als offener Propagandist der braunen Politik. Hans Rehberg war ein für die Tagespolitik eher untauglicher Tragiker, war ein Autor, dessen Pathos im Gewand des Historiendramas daherkam, mit düster umflorten Helden und Einzelgängern: mit aristokratischen Übermenschen zwar, aber doch auch gebeugt von den Lasten des Schicksals.

Rehberg wollte Deutschlands neuer Shakespeare sein, ein Postelisabethaner, und das gefiel zum Beispiel Gustaf Gründgens, der als Berliner Staatstheaterintendant sich die offenen, zweitklassigen Nazichargen künstlerisch (und moralisch) vom Hals halten wollte. Mehrfach setzte Gründgens den ideologisch unverfänglichen Rehberg (der jedes Jahr eine neue Tragödie schrieb) auf den Spielplan, inszenierte und spielte ihn auch selbst (so 1938 in Rehbergs „Siebenjährigem Krieg“ die Rolle Friedrichs des Großen) und hielt dem nach 1945 eher verfemten Dramatikerfreund auch dann noch die Treue.

„Die Wölfe“ jedoch kamen nie nach Berlin. Es war Rehbergs erstes Stück, das in der Gegenwart spielte, eine Kriegsgeschichte, mit deutschen U-Boot-Offizieren und ihren Frauen, ihren Witwen. Reichspropagandaminister Goebbels schob die Uraufführung 1944 nach Breslau ab, der Regisseur war Gründgens’ Staatsschauspieler Bernhard Minetti, ein guter Freund von Rehberg. Einen der U-Boot-Offiziere spielte damals der junge Dieter Borsche, der später berichtete, Minetti habe den Akteuren bei Gehorsamsverweigerung auf den Proben mit dem Gauleiter gedroht. Minetti replizierte in seinen Memoiren: „Falls ich das gesagt habe, war es ein Gipfel meiner Ironie, der er (Borsche) nicht imstande war zu folgen.“

Warum sollen Rehbergs „Wölfe“ nun aber, 60 Jahre danach, noch einmal in Erlangenauferstehen? Die Intendantin verweist im Gespräch darauf, dass „das Thema Krieg denkbar aktuell“ sei und im Theater nicht immer nur ins alte Griechenland oder nach Vietnam abgedrängt werden solle. „Wir müssen uns auch mit den Wunden der eigenen Geschichte beschäftigen.“ Dazu verweisen die Erlanger auf Günter Grass’ Roman über den Untergang der „Wilhelm Gustloff“, auf die jüngsten Debatten über den Bombenkrieg. In einer öffentlichen Erklärung heißt es: „Hans Rehbergs Stück zeigt, wie es zugeht in den Köpfen und Herzen deutscher Männer und Frauen nach vier Jahren Krieg. Er bringt eine Erfahrung zur Sprache, die uns hoffentlich erspart bleibt.“ Und: „Wie bewusst auch immer bilden Rehbergs Dialoge den Verfall der Sprache in der letzten Phase der NS-Diktatur unmittelbar ab.“

Dies freilich ist – blanker Unsinn. Der nur in zwei oder drei originalen Bühnenmanuskripten noch erhaltene (und von fast keinem der publizistischen oder politischen Kommentatoren gelesene) Stücktext widerlegt selbst diese Legende. Denn auch am Ende des Zweiten Weltkriegs hat gewiss kein Mensch so gesprochen wie Rehbergs Papierkrieger: „Maria, ich sehe an dir, daß die Schönheit einer geliebten Frau zerstört werden kann und daß das edle Maß eines Weibes in Unordnung gerät, wenn der Geliebte vor dem Feind bleibt.“ Das sagt ein junger Wachoffizier seiner Schwägerin auf einem schlesischen Gut, wo in Naturkitsch ertrinkende Sonnenuntergänge den ersten und letzten Akt beleuchten, während nur der knappere Mittelteil auf einem zwei englische Tanker versenkenden U-Boot spielt. Dort werden dann zwei verschwägerte Marineoffiziere, ziemlich undramatisch herbeizitiert, von Fliegerkugeln tödlich getroffen.

Diese „Wölfe“ des einst berühmten Hans Rehberg haben etwas von einem kalt verschwiemelten Studienratstheater: nicht mal dramatisches Katzengold, nur Redeblech. Einer am Vaterland zweifelnden adligen Kriegerwitwe („Die große Zeit hat mich um allzuviel gebracht“) antwortet am Ende die Geistererscheinung ihres ersten, gleichfalls gefallenen Mannes: „Wer bei dem Wort Vaterland zu lachen wagt, er mag an Schmerzen und an schmerzlicher Erfahrung, an Leid und Herzzerreißendem beladener als tausend andere sein, der ist verdammt.“ Das war selbst den Nazis zu verquast, um es noch weiter aufführen zu lassen. Die interne Notiz eines von Goebbels Zensoren im Juli 1944 liest sich, die Ideologie mal beiseite gelassen, wie ein plausibler Verriss.

Und das alles will einer heute noch spielen? Der junge, von der Berliner Ernst-Busch-Schule kommende Regisseur Marc Pommerening hat es in der 80 Zuschauer fassenden Erlanger „Garage“ vor – und die Intendantin verspricht die „Mittel der ironischen Distanzierung“, das „Aus- und Bloßstellen politischer Haltungen, ja die Kritik am Text durch das Spiel“. Warum sich aber neben etwas stellen, wenn man mit nichts als Distanzierung dahinter steht? Als gäbe es in Film, Theater und Literatur keine besseren Zeugnisse des (deutschen) Krieges.

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