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Kultur: Die Unschuld vom Strande

Umwege mit Kamera: Wie der Fotograf Will McBride in Berlin die Jugend suchte - und zum Maler wurde

In den Fünfzigerjahre wär’ das nicht passiert. Und das Schlimme ist: Es passiert immer wieder. Will McBride geht in das Café gegenüber, coffee to go, to sit, to stand, und dann stellt er sich mit seinem Kaffee an den Tresen, wo schon all’ die anderen auf die Straße gucken, und grüßt und: nichts. Keine Reaktion. Alles starr wie Milchschaum.

„Es ist komisch, sie reden ja gerne miteinander. Dann genießen sie einander auch, man sieht es an den Gesten. Aber alles, was drumherum geschieht ...“ Will McBride zieht die Schultern hoch. Der Star-Fotograf der sechziger Jahre hat extra zwei Flaschen Pellegrino eingekauft. Er sitzt in seiner Wohnung, in der Mitte von Mitte, wo nach Weihnachten die Kartoffeln und die Zwiebeln begonnen haben zu sprießen, und wo es verhalten nach Farben riecht, denn der Fotograf, das wissen die wenigsten Menschen, ist auch ein Maler, war es immer, und ist jetzt erst recht.

Will McBride war in Berlin, bevor all die anderen kamen. Vor Iggy Pop und David Bowie, er war da, bevor es den Dschungel-Club gab, der alle angelockt hat. Er war ein Soldat gewesen, der 1955 seinen Dienst in Würzburg abgeleistet hatte, ein von Norman Rockwell ausgebildeter Maler, der seine Tage nun an der Freien Universität, im Atelier und seine Nächte in den Jazzclubs verbrachte. Einer, der blieb. Weil hier ein Anfang war und alles nach Hoffnung roch.

Will McBride wusste schon früh, dass es ihm leichter fällt, Dinge anzufangen, als sie zu beenden. Als er nach Berlin kam, erwartete er nichts und wurde reich beschenkt. Er hat sich in dieses Leben geworfen, das von vier Großmächten beherrscht wurde, aber erst durch die Menschen an Reiz gewann, die in den Trümmern der Geschichte an der Normalität festhielten. Er fand Freunde und hat sich in seine spätere Frau verliebt. Ab und an drückte er auf den Auslöser seiner Leica, um diese raue, zärtliche Zeit festzuhalten. Die Körper, die nichts Geducktes hatten. Das selbstvergessene Kind, das in einem Gully nach Münzen fischt. Den Trainer, der seinem wie abwesenden Boxer etwas einflüstert. Die verletzlichen und doch unverdorben-jugendlichen Körper im Strandbad Wannsee, unerwartete Unschuld in einer zerstörten Stadt, als wüssten sie alle nichts mehr von dem Krieg, der gerade erst vorbei war. Die Bilder dieser Zeit zeigt die Galerie Argus in Mitte.

„Wenn man früher einen Bauarbeiter fotografierte, war der stolz. Heute stoßen Sie auf Abwehr, keine Ahnung, warum. Vielleicht weil sie illegal arbeiten. Vielleicht wollen sie auch einfach keine Bauarbeiter sein.“ In ganz Europa gebe es keine selbstvergessenen Gesichter mehr, sagt McBride. Gesichter, die kein Image vermitteln wollen, sondern einfach da sind und noch keine Idee von „Cool“ mit sich herumtragen.

In den Sechzigerjahren hat McBride die Distanz zu den Menschen immer weiter verringert. Bis die Leute es einen Skandal nannten. Adenauer kam er so nah, dass es für ein Buch reichte. Das fanden die Leute bemerkenswert. Seine Frau fotografierte er bei der Geburt seines Sohnes, da zuckten die ersten zusammen. Viele junge Männer hatten nichts mehr an. Und irgendwann erschien das Aufklärungsbuch „Zeig Mal“. Da wollten sie ihn anzeigen. McBride war über diese Arbeit zum Fotograf geworden. Während die Malerei immer abstrakter wurde, konnte er mit Fotos Geschichten erzählen und seine Familie ernähren. Er prägte die Zeitschrift „twen“ und wurde berühmt. Doch er hatte eine Sache nicht bedacht: Sein Dauerreiz war die Jugend, ihr Versprechen und ihre Verletzlichkeit. Am verletzlichsten war er allerdings selbst.

Als die Berliner Mauer gebaut wurde, bekam er Angst und ging nach München.Er arbeitete für „Quick“ und „Stern“ und legte seine Seele in Bilder. Irgendwann sagten seine Frau und seine drei Söhne adieu. Aufträge bekam er auch kaum noch, er konnte sein Studio nicht mehr bezahlen. Er flüchtete in ein Landhaus in der Toskana, Chaosjahre, in denen er in jeder Hinsicht ortlos wurde. Er nahm Drogen und trank zu viel. Irgendwann wunderte er sich, dass er noch nicht tot war.

Der Mann, der sagt, es sei ihm immer leichter gefallen, Dinge anzufangen, als sie zu beenden, tat also, was er am besten kann – und fing wieder von vorne an. 1999 kam der Amerikaner noch einmal nach Berlin, und diesmal hat er viel erwartet. „Ich bin nur aus einem einzigen Grund wiedergekommen: um zu malen. Ich dachte, ich könnte einfach da anfangen, wo ich Jahrzehnte vorher aufgehört hatte. Aber das war ein Irrtum meinerseits.“ Er hätte 35 Jahre Fotografie wegwischen müssen, er hätte seine Art zu sehen ändern müssen, es ging sogar so weit, dass er sich wünschte, niemals fotografiert zu haben. Aber: „Was bleibt mir übrig? Mir fällt nichts anderes ein.“ Er macht immer noch Fotos. Die sind nun Grundlage seiner Malerei, die jetzt in der Galerie Kunstblick zu sehen ist.

Eines seiner Gemälde zeigt die Love Parade, ein anderes das Gelage von Punks, in denen McBride eine ähnliche Konventionen sprengende Kraft sieht wie damals in den Jazzmusikern. Auf vielen Bildern sind Jungs, Knaben zu sehen, die zum Beispiel am Schlachtensee baden wollen. Für McBride ist Berlin jung geblieben. Zu jung, wie manche meinen angesichts der Fülle an „boys“ (McBride), die sich vor keiner Blöße scheuen. Das irritiert. McBrides Kunst ist von seiner Person, seinen Leidenschaften, nicht zu trennen. Das machte seine Fotos so großartig und seine Malerei zugleich so angreifbar. Er ist es gewohnt, dass Leute ihn komisch finden oder skandalös. Er guckt gefasst aus seinem schmalen Gesicht.

Warum bloß will er unbedingt malen, wo er doch so ein berühmter Fotograf ist, fragen die Leute? Fast trotzig sagt er, dass ihn das am meisten glücklich mache. Wer sagt, dass ein Künstler machen muss, was andere von ihm wollen?

Seit er vor fünf Jahren nach Mitte gezogen ist, sind ein paar neue, steile Zähne in den Fassadenreihen aufgetaucht. Implantate mit glatter Oberfläche. Es gibt in der Gegend eigentlich nur noch Kaffee und Schuhe zu kaufen. So viele Schuhe braucht kein Mensch. Nein, es gefalle ihm natürlich nicht, wie es sich hier verändert, sagt er, es sei aufreibend. „Aber vielleicht brauche ich das.“

Die immerwährenden Anfänge, die Jugend und die Jungen auf seinen Bildern altern nie. Und auch deshalb scheint es so völlig unwahrscheinlich, dass Will McBride heute 75 Jahre alt wird.

Fotos: Berliner Bilder aus den fünfziger Jahren in der Galerie Argus (Marienstr. 26, Mitte) Di-Sa 14-18 Uhr bis 25. Februar.

Malerei & Skulpturen: Galerie Kunstblick (Reinhardtstr. 31, Mitte), Di-Sa 12-18 Uhr.

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