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Kultur: Die vergessene Generation

„Der Rote Kakadu“ blickt zurück in die DDR des Jahres 1961

Er ist zwanzig, sie nennen ihn Siggi (Max Riemelt). Er ist neu in Dresden, und neu ist eigentlich alles, wenn man zwanzig ist und zum ersten Mal allein in einer fremden Stadt. Zum Beispiel diese seltsamen Leute auf einer ganz normalen Stadtparkwiese, die so merkwürdige Bewegungen machen wie eine Phalanx außer Kontrolle geratener Gurus. Hören sie Musik und tanzen? Aber das kann nicht sein, denn sie haben keine Walkmen – es gibt nämlich noch keine. Es ist das Frühjahr 1961, und da ist tatsächlich keine Note in der Luft. Bis jemand mit einem Plattenspieler herankeucht, und plötzlich passen die Bewegungen. Sie werden hörbar. Sie folgen einer ziemlich vorsätzlichen Antischalmeienmusik, die sich in einer Art Urfeindschaft zu jedem Balalaikaensemble zu befinden scheint.

Die Besatzungen der Polizeiautos hören das genauso. Sie treiben die Tanzenden mit Knüppeln auseinander. Und Siggi rennt wie die anderen, wie um sein Leben, und bleibt doch immer wieder stehen, sieht ein Mädchen laufen, und läuft ihm hinterher. Weg und zu ihr. Sie heißt Luise (Jessica Schwarz). Es ist die, die noch eben besonders selbstvergessen tanzte. So fängt „Der Rote Kakadu“ an.

Ein bisschen zu grell? Ein wenig zu sehr Klischee-Polizeistaat-DDR? Aber in den sechziger Jahren muss die DDR genauso gewesen sein. Jazz und beginnende Rockmusik waren der Inbegriff der Dekadenz. Viel später wird die DDR vor dem Musikgeschmack ihrer Jugend fast vollständig kapituliert haben.

Ein bisschen überanstrengt wie die Eingangsszene wirkt der ganze Film, etwas bilderbogenhaft auch. Aber sonst ist es eine interessante historische Versuchsanordnung: die letzten Monate vor dem Mauerbau, beobachtet aus der ziemlich unterkellerten Perspektive eines Dresdner Nachtclubs im Stadtteil Weißer Hirsch. In Nachtklubs tanzt es sich sicherer als in Stadtparks. Der Club heißt „Der Rote Kakadu“ und die Musik klingt wie der Name es verspricht – jedenfalls für Funktionärs- und AufpasserOhren aller Art.

Und soll man noch sagen, dass die Stasi längst den „Kakadu“ unterwandert? Und dass die Mauer bald steht? Aber es geht vielleicht nicht mal um die großen Tableaux. Denn Graf entwirft in ihnen, durch sie hindurch das Porträt einer vergessenen Generation: derer, die um 1960 zwanzig waren. Siggi, Luise und ihr Freund Wolle. Kriegskinder, und aus diesen Erfahrungen heraus vielleicht die Anarchisten der ersten Stunde. Unzähmbare wie dieser Wolle (Ronald Zehrfeld), der Luise beschützt und von dem keiner sagen könnte, ob er nun besonders gut oder besonders böse ist. Gutböse also. Siggi ist auch nicht viel besser. Klaut seinen Tanten ihr Meißner Porzellan und verkauft es in Westberlin. Der Mensch ist gleich viel zahlungsfähiger so, auch wenn tassenlose Tanten keinen erfreulichen Anblick bieten.

Helmut Schelsky nannte die Siggis, Luises und Wolles (für den Westen) einst „die skeptische Generation“. Junge Leute, die an keine Ordnung mehr glaubten, schon gar nicht an die, an die sie glauben sollen. Oder sie glauben eigensinnig wie die dichtende (!) Luise an etwas, das dann nicht mehr den Namen Ordnung verdient. An Siggis Weltbild glaubt sie schon gar nicht: Entweder es gibt Sarotti-Schokolade oder es gibt keine, das ist die ganze Metaphysik. Die schöne dichtende Luise glaubt ans Dableiben.

Dableiben heißt manchmal auch, es nicht mehr rechtzeitig über die Grenze zu schaffen. Oder hat sie es gar nicht erst versucht? Der Film verabschiedet sie und uns mit den Siggi-Worten: Die Welt hinter der Mauer habe für ihn Luises Gesicht, ihre Schönheit und ihre Ideale behalten. Viel Pathos. Aber es ist schon okay. Mit dem Mauerbau ist Grafs Geschichte zu Ende, aber dann fängt sie in der DDR erst richtig an. Man braucht nur die amtlichen Notizen der nächsten Jahre zu lesen, um zu wissen: Das Unerhörte existierte.

Etwa das hier: „Anlässlich des Bezirksfestivals der FDJ am 24. und 25. 7. 1965 trat die im Betreff angeführte Gitarrengruppe in der hiesigen Gaststätte auf. Durch die vorgetragene Musik gerieten ein Teil der Jugendlichen derart in Erregung, dass sie auf Tischen, Stühlen und Bänken tanzten. Dadurch entstand Sachschaden wie folgt: 6 Stück Gartentische, 12 Gartenstühle, 10 Stück Gartenbänke.“ Der Bericht entstand nach einem Auftritt der „Butlers“, aus denen später „Renft“ wurde, die beste Rockgruppe der DDR.

Heute 19 Uhr (Zoo-Palast), 15. 2., 10.30 Uhr (Cinemaxx 7), 17. 2., 14 Uhr (International)

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