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Kultur: Die verlorene Heimat der Lara Croft

Frankfurts Kunstverein untersucht den Kunstgehalt der Nation

„Le Roi est mort! Vive le Roi!“ skandiert das französische Volk, als es den alten König verabschiedet, um im selben Atemzug den neuen und letzten Thronfolger vor der Revolution zu begrüßen. Dabei sind die Würfel zu diesem Zeitpunkt im Grunde schon gefallen: Ludwig XV. ist tot. Das Leben Ludwigs XVI. soll schon bald der Guillotine zum Opfer fallen, während das Volk ein ganz anderes Selbstverständnis hochleben lässt: „Vive la Republique! Vive la Nation!“ Dieser historische Augenblick mag die Geburt der Nation bedeutet haben. Zumindest aber ist es die Feuertaufe einer neuen Identität, die sich nicht mehr an der uneingeschränkten Treue zum König bemisst, sondern an der Zugehörigkeit zu einem Gebilde, das sich Staat oder Nation nennt. Die Geschichte Europas wird fortan als eine Geschichte von Nationalstaaten erzählt – bis die Idee eines vereinten Europas entsteht, bis alles global wird und die Welt keine außenpolitischen, sondern nur mehr weltinnenpolitische Probleme kennt.

Was aber geschieht mit den Nationen? Sind sie noch von Interesse – für ökonomische, politische oder identitätsstiftende Belange? Die Ausstellung „nation“ im Frankfurter Kunstverein versucht diesen Fragen auf der Ebene der Kunst eine gesellschaftliche Relevanz abzugewinnen. Zugegeben: Das ist nicht neu, und es ist auch nicht sonderlich gelungen. Zum einen mag es daran liegen, dass sich nur wenige der gut dreißig Künstler tatsächlich des Themas annehmen. Heather Burnetts sehenswertes Video „Ingaland“ (2003), welches das Aufeinandertreffen zwischen Londoner Hooligans und der Polizei wie ein beängstigendes Ballett choreographiert, schildert einen ganz anderen Konflikt als den „zwischen globalem Denken und nationaler Zugehörigkeit“. Auch Thomas Bayrles „Autobahnmäander“ (2001) verkommt zum Oberflächenphänomen, während sich mit den bekifften Gestalten, die Nina Könnemann an den Rändern der Berliner Love Parade verfolgt („Unrise“), auch das Thema der Ausstellung in psychedelische Wendungen aufzulösen droht. Ein Stockwerk tiefer bindet Josephine Meckseper den Besucher ein in das bedeutungsstiftende Geflecht einer ebenso ideologisch wie national geprägten Popkultur, deren Selbstverständnis die Künstlerin den ironischen Titel „Die göttliche Linke“ (2003) gibt. Am Treppenaufgang steht eine lebensgroße Lara Croft, von Marc Bijl mit Teer übergossen. Hinter ihr steht in schwarzer Sprayfarbe „La rivoluzione siamo noi“. Längst scheint die virtuelle Heroine die Aura des Joseph Beuys überflügelt zu haben.

Soviel diskursive Spielräume eröffnet die Ausstellung „nation“ selten. Stattdessen umkreist sie flügellahm einen Begriff, der schon in den vorausgegangenen Ausstellungen im eigenen Hause aufgehoben war. Und das ist der zweite Grund, warum die Schau nicht gelingen will. Nach der Trilogie „Neue Welt“, „New Heimat“ und „Non-Places“ kommt „nation“ daher wie das verlegene und reichlich ideenlose Amalgam bereits abgefeierter Konzepte. Dass der Kunstverein, wie es in der Pressemitteilung so schön verquast heißt, sich einmal mehr dem „Feld zeitgenössischer Kunst und ihrer diskursiven Verschränkung mit gesellschaftsrelevanten Themen“ widmen will, klingt eher wie ein dürftiges Bekennerschreiben. Der Diskurs ist tot! Es lebe der Diskurs!

Frankfurter Kunstverein, bis 3.August.

Ralf Christofori

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