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Kultur: Die Verwandler

Klaus M. Grüber, Robert Lepage, Thomas Bernhard, Thomas Oberender: Theater im Buch und Bild

Fast schon vergessen: Dieses Schiller- und Mauerfalljahr bot auch ein Thomas-Bernhard-Jubiläum. Im Februar 1989 ist der Großmeister der schwarzen österreichischen Welttheaterkomödie gestorben, und mit nur neun Monaten Verspätung hat das Österreichische Theatermuseum am Wiener Lobkowitzplatz kürzlich seine große Bernhard-Gedenkausstellung eröffnet (sie läuft noch bis zum 4. Juli 2010). Für alle nicht Dabeiseienden ist nun zumindest das Katalogbuch „Thomas Bernhard und das Theater“ zu empfehlen, trotz seines recht einfallslosen Titels. Besonders schön sind darin die Evergreen-Gespräche mit Bernhards Protagonisten Marianne Hoppe, Claus Peymann, Gert Voss oder mit dem in diesem Jahr verstorbenen „Theatermacher“-Titelhelden Traugott Buhre.

Der richtige Bernhard-Hammer aber ist der Briefwechsel des Dichters mit seinem Verleger Siegfried Unseld. Wir hatten anlässlich Bernhards 20. Todestag schon die gekürzte und ganz fabelhaft unterhaltsame Hörbuch-Version mit Gert Voss und Peter Simonischek gerühmt (Tsp. 11. 2. 09). Nun endlich liegt als Suhrkamp-Buch die ganze, fast neunhundertseitige Auseinandersetzung um Geld, Geltung und nochmals Geld als einzigartiges Exempel dafür vor, wie ein großer Verleger einen nervenaufreibend großen Autor erträgt, beschwichtigt, weiterträgt und mit ihm zugleich auf Augenhöhe sein Werk befördert.

Für jüngere Leser eine Trouvaille ist ein Bändchen der Friedenauer Presse: die von Klaus Völker kommentierte Neuauflage von Max Frischs „Erinnerungen an Brecht“, die 1966 zuerst in Hans Magnus Enzensbergers „Kursbuch“ erschienen. Selten ist Brecht, der gerade aus den USA 1947 nach Europa zurückgekehrte Emigrant, so hautnah und ohne falschen Respekt beschrieben worden. Der junge Frisch, Assistent am Zürcher Schauspielhaus bei Brechts „Puntila“-Proben, notiert einmal in Zürich, wohl Anfang 1948: „Plötzlich, bei einem nächtlichen Zusammentreffen, hatte er wieder das Häftlingsgesicht: die klein-runden Augen ... vogelhaft auf einem zu nackten Hals. (...) Ein erschreckendes Gesicht: abstoßend, wenn man Brecht nicht schon kannte. (...) Ein Lagerinsasse mit Zigarre. Sein Mund fast lippenlos. Er war sauber, nur unrasiert... Nur grau. Sein Haarschnitt wirkte wie eine Maßnahme gegen Verlausung oder wie eine Schändung, die ihm angetan worden ist. Sein Gang: da fehlten die Schultern.“

Kein Nachfolger Brechts, aber im internationalen Theater zwischen Amerika, Europa und Asien als Autor, Regisseur und Schauspieler gewiss das ungewöhnlichste Talent der letzten zwei Jahrzehnte ist der Frankokanadier Robert Lepage. Viel Wissenswertes über ihn enthält die Nahaufnahme „Robert Lepage“ von Renate Klett im Berliner Alexander Verlag – und zu den vier klugen Werkstattgesprächen mit dem vielgesichtigen Künstler kommt als Dreingabe noch die DVD seines wunderbaren, einst auch bei den Berliner Festspielen gezeigten Solo-Stücks „Die andere Seite des Monds“.

Und apropos DVDs: Die ZDF- Theaterredaktion hat zum zehnjährigen Bestehen ihres „Theaterkanals eine Kassette mit „Klassikern“ aufgelegt, die unter anderem Andrea Breths „Emilia Galotti“, Luc Bondys Wiener „Lear“ und Leander Haußmanns schwungvolle Verfilmung von „Kabale und Liebe“ enthält.

Meine beiden Favoriten für Lese- und Augenmenschen sind ein schmales Essaybuch und ein grandioser Bildband. „Der Verwandler. Klaus Michael Grüber“ haben die Fotografin Ruth Walz und der Bühnenbildner Karl Ernst Herrmann ihre Hommage an den im Sommer letzten Jahres verstorbenen Schauspiel- und Opernregisseur genannt. Bruno Ganz hat seinem Lieblingstheatermacher dazu als Rollen- und Lebensbegleitung einige handschriftliche Notate gewidmet. Die sind hier, ohne alles Weihevolle, eingelegt zwischen die großformatigen, nächtlich suggestiven Szenenbilder von Ruth Walz, die uns in Erinnerungen oder Sehnsüchten noch einmal mitnehmen auf Grübers Reisen durch die antiken Dramen, zu Hölderlin ins Berliner Olympiastadion oder ans Caspar David Friedrich’sche Eismeer; an den Pol, ins Grandhotel und ins Trinkerasyl, in Kirchen oder Schaubühnenhallen, auf den vielen Wegen mal zu Euripides und Shakespeare, mal zu Feydeau oder einem fast unbekannten Nabokov.

Was zwischen dem geschriebenen Stücktext und dem im allmählichen Zusammenwirken von eigener Eingebung, Erfahrung und der Animation durch den Regisseur entstehenden Ausdruck des Schauspielers passiert, das ist das eigentliche Geheimnis des Theaters. In der fertigen Inszenierung erscheint es nur noch als unsichtbare Folie, als schöner (oder unschöner) Schein aus Fertigkeit und vermeintlich Fertigem. Dem Flüchtigen und Fließenden, das davor und darunter liegt, hat nun der Dramaturg, Dramatiker und Salzburger Schauspieldirektor Thomas Oberender mit äußerster Empfindlichkeit nachgespürt. Diesem Essaybuch „Leben auf Probe. Wie die Welt zur Bühne wird“ merkt man auch an, dass Oberender mit offensichtlichem Gewinn über Botho Strauß promoviert hat. In seinem poetisch-intellegiblen Stil und seiner Wahrnehmungsschärfe erinnert das im besten Sinne an Straußens frühere Theater- und Literaturessays.

Das feine inspirative Gewebe, aus dem in den nach außen (oft allzu sehr) abgedichteten Proberäumen das Schauspiel, welches der Zuschauer später zu kennen glaubt, auf vielfältig überraschenden, aberwitzigen Umwegen sich entspinnt, hat Oberender zu einer spannenden, anschaulichen Theater-Erzählung verdichtet. Und die stumpfsinnigen, die widersinnigen Fälle hat er aus gutem Grund weggelassen.

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