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Kultur: Die Waffe des Auges

Museum für Fotografie Berlin: Helmut Newton, Larry Clark, Ralph Gibson in der Ausstellung „Wanted“

Überall Knarren. Mal beiläufig auf dem Nachttisch, mal ins Wüstennichts gerichtet. Dass sich Fotografen für Handfeuerwaffen interessieren – wen wundert’s. Zu nahe liegt die Verwandtschaft zwischen Revolver und Kamera, zu anziehend auch die Erotik der Macht, die diese beiden Waffen verbindet.

In der Ausstellung „Wanted“ der Helmut Newton Foundation im Berliner Museum für Fotografie wird die Ähnlichkeit zwischen dem Schießen von Bildern und dem tatsächlichen Schuss aus einer Waffe augenfällig. Passenderweise ist der zugehörige Flyer wie ein Westernsteckbrief gestaltet: Helmut Newton schaut darauf gelassen, beinahe überheblich, Larry Clark streng, Ralph Gibson milde. Drei Desperados sollt ihr sein, verwegen neue Wege finden. Nach der vorangegangenen, mit 85 000 Besuchern erfolgreichen Ausstellung „Men, War & Peace“, bei der Männerportraits Newtons mit Kriegsfotografien von James Nachtwey und dem Hochglanzglamour David LaChapelles konfrontiert wurden, nun also die neue Konstellation Newton-Gibson-Clark. Die drei Fotografen sind einander seit den frühen siebziger Jahren freundschaftlich verbunden. June Newton, die Witwe des 2004 gestorbenen Stars, hatte die Idee, die Arbeiten von „Helmi, Larry und Ralphi“, wie sie die drei nennt, zusammenzubringen.

Der Fotograf als Freibeuter: Besonders bei Newton und Clark liegt die Verbindung von Abenteurertum und fotografischem Werk auf der Hand. Newton verließ das Gymnasium, weil er „nur Mädchen und Fotografie im Kopf hatte“, wie sein Vater schimpfte. Auch die Lehre bei der Fotografin Yva brach er ab, um 1938 nach Singapur zu emigrieren. Der jüngere Larry Clark wurde nie zum Fotografen ausgebildet. Zum Außenseiter der Szene machten ihn seine frühen Drogenerfahrungen, die ersten Aufnahmen seiner amphetaminsüchtigen Peer Group in Oklahoma und die schonungslose Auseinandersetzung mit jugendlichem Exzess.

Der Amerikaner Ralph Gibson fällt in diesem Trio etwas aus der Reihe. Larry Clark rühmt seinen Kollegen zwar bei der Präsentation der Schau als ebenbürtigen Pionier, da er den Fotobuchverlag „Lustrum“ gründete. Dort veröffentlichte auch Clark erste Serien. Doch Gibsons hier versammeltes Best-Of der sechziger Jahre bis heute wirkt neben den Arbeiten der Bad Boys Newton und Clark geradezu brav. Darin unterscheidet sich die Arbeit der drei Fotografen gewaltig: wie sie den nackten Körper ins Bild setzen. Zwischen sorgsamer Aktstudie und dokumentarischer Fotografie zeigt „Wanted“ eine weite Palette der Möglichkeiten.

Der 1939 geborene Gibson präsentiert eine gediegene Genießererotik. Körper gibt es bei ihm nur als Fragment, als Torso, Hand, Hüfte. Gibson interessiert sich für Figur, Muster und Abstraktion. Obwohl harte Kontraste dominieren, fließen die Formen oder gleiten harmonisch ineinander. Eine revolutionäre Zumutung dagegen Larry Clarks eng gehängte Serien „Tulsa“ und „Teenage Lust“, die in den sechziger, siebziger Jahren entstanden: Körper werden in diesen Schwarz-Weiß-Bildern andauernd penetriert, sexuell, mit Spritzen, andeutungsweise durch eine auf den Bauch gerichtete Pistole. Blut fließt. Auch wenn der Titel der Serie „Lust“ verspricht, sieht Sex hier nur beiläufig oder brutal aus.

Bei Helmut Newton schließlich verwandelt sich Gewalt wieder in Spiel. Erstmals werden seine Arbeiten, die er in dem von ihm begründeten Magazin „Helmut Newton's Illustrated“ veröffentlichte, in einer Ausstellung gezeigt. Die häufig grobkörnigen Abzüge aus vier Ausgaben des Heftes, das zwischen 1987 und 1995 erschien, zeigen mit Stärke und Selbstbewusstsein gepanzerte Nacktheit. Die zumeist berühmten Portraitierten präsentieren Fetischaccessoirs als Symbole der Macht – doch es bleibt nur Spiel. In Röntgenaufnahmen durchleuchtet Newton Frauenhände, die in Handschellen stecken oder einen stilettogetragenen Fuß. Auch noch ins Innerste will der Voyeur schauen. Helmut Newtons Ironie, die diesen Machtwillen demonstriert: entwaffnend.

Museum für Fotografie, Jebensstraße 2, bis 18. November. Kein Katalog.

Daniel Völzke

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