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Verbrecher JAGD: Die Welt als Beute

Boston, 1926. Joe Coughlin überfällt Banken und Spielkasinos.

Boston, 1926. Joe Coughlin überfällt Banken und Spielkasinos. Er stiehlt, „weil es Spaß machte, weil er es draufhatte und die Raubzüge wiederum zu anderen Dingen führten, die er ebenfalls aus dem Effeff beherrschte – Schnapsbrennen und Rumschmuggel“. Es ist die Zeit der Prohibition, das organisierte Verbrechen streicht in den USA wahnwitzige Profite ein. Joe macht steil Karriere, allerdings nicht in Boston, sondern in Tampa, Florida. Willkommen an der Sonne!

Dennis Lehane hat eine Reihe großer Romane geschrieben, die ins weite, dunkle Feld der Verbrechensliteratur gehören. In „Mystic River“ (dt. 2003) erzählte er von Pädophilie im Arbeitermilieu, in „Shutter Island“ (dt. 2004) ging es um den Albtraum der US-Nachkriegspsychiatrie. Beide Bücher wurden klasse verfilmt, und auch seinen neuen Roman „In der Nacht“ (Aus dem Amerikanischen von Sky Nonhoff, Diogenes, Zürich 2013, 583 S., 22,90 €) kann man sich gut auf Blu-Ray vorstellen: Die Low-Key-Szenerie – illegale Kneipen und Bordelle, Verfolgungsjagden, Gefängnisflure – erinnert an die „Schwarze Serie“. Dazu gibt es eine Gatsby-artige Liebesgeschichte. Während Joe Coughlin in Florida für ein Syndikat die Geschäfte neu organisiert, verfolgt ihn der Schatten einer Geliebten aus Bostoner Tagen. Dieser Mann wird nicht durch eine Kugel sterben. Man wird ihm eines Tages das Herz herausreißen.

Lehanes „In der Nacht“ ist Arbeit am Mythos: Mafia und Prohibition, Hollywood und Hardboiled. Das Gegenteil – Arbeit an der Wirklichkeit – macht Garry Disher. Der australische Thriller-Autor schreibt seit Anfang der Neunziger über den professionellen Dieb und Einbrecher Wyatt. Der jüngste, ins Deutsche übersetzte Band heißt: „Dirty Old Town“ (Aus dem australischen Englisch von Ango Laina u. Angelika Müller. 322 S., 13,80 €).

Wyatt stiehlt, weil es sein Job ist. Er ist der Prototyp des prekär Beschäftigten im 21. Jahrhundert: ein schlecht abgesicherter Erwerbstätiger, der von den Krisen an den Finanzmärkten hart erwischt wird – und der zu alt ist für Hightech-Alarmanlagen und computergestützte Transaktionen. Also hält er sich mit Erpressungen und schnellen, schmutzigen Raubüberfällen über Wasser – bis ihm ein Koffer mit millionenschweren Derivaten in die Hände fällt. Es läuft auf einen Showdown hinaus, zwischen dem renitenten Globalisierungsverlierer Wyatt und einem französischen Möchtegern-Gangster, der als Kurier einer größeren Organisation von Kontinent zu Kontinent jettet und gestohlene Wertsachen und Wertpapiere unauffällig in den weltumspannenden kapitalistischen Verwertungszusammenhang einspeist. Die Welt als Beute: Die Geschichte der Globalisierung lässt sich am besten anhand von Verbrechen erzählen.

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