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Der Schweizer Schriftsteller Ludwig Hohl.

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Die Wiederentdeckung des großen Schweizer Schriftstellers Ludwig Hohl: Trinken, Notieren, Schreiben

Siegfried Unseld hielt großen Stücke auf ihn, auch Peter Handke und Max Frisch waren begeistert: Der Suhrkamp Verlag bringt bislang unveröffentlichte Werke von Ludwig Hohl heraus.

Von Philipp Haibach

So eine Trinker-Novelle hat man noch nicht gelesen. Was nicht nur daran liegt, dass sie mehr als 90 Jahre im Archiv im komatösen Zustand vor sich hindöste, um jetzt wachgerüttelt das Tageslicht in der Bibliothek Suhrkamp zu erblicken. Und es gibt natürlich zig Referenzen, die man aufzählen könnte, unzählige Annäherungen an die konstitutive Kraft des Alkoholrausches. Etwa in den Werken von Roth, Fallada, Fitzgerald, Bukowski, A.L. Kennedy und vielen, vielen mehr. 

Aber Ludwig Hohls Novelle „Die seltsame Wendung“, um 1931 geschrieben und dann ihm in der Rohfassung liegengelassen, ist anders. Die Geschichte beginnt wie ein Märchen, konzentriert und nüchtern, um sich dann immer weiter in ein Delirium zu steigern: „Es lebte im Montparnasse unter vielen sonderbaren Malern einer der war sonderbarer als die andern und eine ungestüme Kraft zersplitterte die Linien seines Gesichtes. Er war ein ungeheurer Säufer.“ Man ist so nah an dem Künstler, dass man selbst Magenkrämpfe bekommt und man folgt ihm auf seinen Pfaden, „die in immer wirreres und dunkleres Reich, in Dämonien führen“. 

Dabei ist der Schweizer Hohl nicht unbedingt für seine Prosa bekannt. Aber was heißt bei Hohl schon bekannt? Er wurde von Kollegen verehrt, aber kaum gelesen. Bekannt ist er vielleicht für „Die Notizen oder Von der unvoreiligen Versöhnung“, von denen Eingeweihte bis heute mit verschwörerischem Glanz in den Augen berichten. 

„Die Notizen oder Von der unvoreiligen Versöhnung“ ist Hohls Hauptwerk

Es ist sein Hauptwerk, entstanden zwischen 1934 bis 1936 in Den Haag. Ein Steinbruch der Ideen auf 800 Seiten, unmöglich das dicke Ding am Stück zu lesen, will einem der Kopf nicht wegen Pernots, sondern Inputs platzen. Ein Konglomerat aus Maximen und Reflexionen, Porträts, Traumnotaten zu den Themen Arbeit, Literatur und Tod. Der erste Teil wurde 1944 im Artemis Verlag publiziert. 

Die Veröffentlichung des zweiten Bandes musste Hohl vor dem Bundesgericht durchsetzen. Siegfried Unseld verlegte die beiden Teile dann zusammen bei Suhrkamp. Hohl starb 1980; als Band Nr. 1000 der Taschenbuch-Reihe kamen die „Notizen“ ein Jahr später auf den Markt. 

Er konnte sie also nicht mehr in den Händen halten. Für jeden Autor eine Tragödie, für ihn eine besondere: „Es sind nicht die Manuskripte (und möchten sie das Werk eines Montaigne enthalten!), die einen in den Augen der Welt zu einem Schriftsteller machen, sondern die gedruckten Bücher!“, schreibt er in dem „Bericht über Artemis“, in dem er den Stand des Prozesses bis 1949 literarisch verarbeitete. 

Dieser Bericht zeigt, dass das Leben Hohls, der 1904 in einem Pfarrhaus zu Füßen der Alpen auf die Welt kam, niemals von seinem Werk als abgekoppelt angesehen werden kann. Ein Leben, das von Entwürdigung, Einsamkeit (obwohl fünfmal verheiratet) und Armut geprägt war. 

Hohl brach die Matura ab und brannte als Wehrflüchtiger mit seiner Freundin 1924 nach Paris durch. Ein halbes Leben lang war er darauf angewiesen, in Zeitungen und Zeitschriften zu publizieren, weil er keinen Verleger fand. 

Ein saufender Eremit im Genfer Kellerloch?

So ist ein bestimmtes Bild von ihm entstanden: Ein saufender Eremit im Genfer Kellerloch von 1954 bis 1975 hausend, hinter ihm Wäscheleinen, an denen Tausende von Zetteln mit Notizen hingen. 

Nein, ein heiterer, verschmitzter Geist

„Selbstinszenierung, Provokationslust, Selbstschutz eines Scheuen?“, fragte einmal seine Biografin Anna Stüssi. „Vor allem wohl die notwendige äußere Form einer lebenslang auf unsicherem Grund und an Grenzen sich bewegenden Existenz“, antwortete sie sich selbst. 

Peter Handke wiederum sagte bei der Verleihung des Petrarca-Preises 1980 an Hohl (an der dieser nicht mehr teilnehmen konnte): „Ludwig Hohl ist kein misanthropischer Einzelgänger oder Eigenbrötler in einem Kellerloch (das stimmt alles nicht), sondern ein heiterer, auch verschmitzter Geist auf einer hohen, hellen Etage, der für uns zuständig ist; dem ich hier und da widerspreche, aber dem ich aufs Wort glauben kann.“ 

Die „Seltsame Wendung“ ist neben einer vorsichtigen Dosis aus den „Notizen“ vielleicht die beste Art, Hohl kennenzulernen. Zum leichtem Einstieg verhilft einem das Reclam-Bändchen „Ludwig Hohl zum Vergnügen“. Der Titel birgt keinen Widerspruch in sich. Denn der Philosoph und Atheist war auch ein Meister der Tirade und des Sprachwitzes. 

Für mittlerweile von Hohls Werk Berauschte sind jetzt noch zwei weitere Bücher zu entdecken. Sie handeln von Hohls Aufenthalt in der Psychiatrie und in der Untersuchungshaft sowie von einer Begegnung mit einem Saufkumpanen in der Provinz. 

Ein neuer Anlauf zu Ehren des großen Unbekannten? Hoffentlich keine Sisyphos-Arbeit. Möge der Felsblock, für den das Werk des erfahrenen Alpinisten (und Skifahrer-Verächters) sinnbildlich steht, endlich am Gipfel stehenbleiben und nicht wieder zurückrollen ins Tal ahnungsloser Literaturfreunde. Max Frisch brachte es auf den Punkt, als er schrieb, dass Hohls Werk „virulent“ sei, „jetzt wie vor Jahrzehnten und lesbar, als wäre es jetzt entstanden … ich denke, das ist Rang“.

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