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Kultur: Die Wortwanderin

Mit Dieselloktreue und Erlösungsgraus: Begegnung mit der Dichterin Elke Erb

Durch drei Tore geht man in der Weddinger Schwedenstraße. Da steht Elke Erb schon am Fenster ihrer Hinterhofwohnung und winkt. So hat Raphael Urweider sie gerade beschrieben: „grüßt immer äußerst wirsch / und klar mit stets offenem / visier blickfang schalkgriff“.

Der große Sitzball mit der selbstgehäkelten Ringeldesignhülle im Wohnzimmer lädt zum Platznehmen ein. Ein feenhaftes, zartes Mädchen steckt nach wie vor in der 73-Jährigen. Einer der tagebuchartigen Texte ihres jüngsten Buchs „Meins“ weiß es genauer: „Dieser Tage habe ich erblickt, gefühlt & verstanden, / dass in meinem Schreib-Ich das Kind-Ich, / die Eifeler Ich-Person mitspricht. // Sie ist noch da, ich habe sie erblickt: / Kenntlich an Auge und Stirn.“

Auf ihrer Lesetour zum Preis der Literaturhäuser war sie gerade in Leipzig, Salzburg, Graz und Hamburg. Am Freitag liest sie in Berlin. Für jede der elf Städte hat sie ein anderes Konzept. In Rostock will sie mit politischen Gedichten beginnen und betont, dass sie viel „Außenwelt“ beim Schreiben brauche. „Es ist sogar besser, wenn ich nicht im Zimmer bin. Dann habe ich Unterstützung vom Licht, von den Bäumen, von der Rasenkante. Wenn ich im Zimmer bin, denke ich ständig an die Außenwelt. Das ist aber die soziale Außenwelt. Die bleibt doch im Ich, weil ich es geschrieben habe. Deshalb sage ich auch: Das Lyrik-Ich ist ein politisches Ich.“

Und wie war das damals in Ostberlin, wohin die in der Eifel geborene Tochter des marxistischen Literaturwissenschaftlers Ewald Erb 1966 aus Halle kam? Da herrschte, erinnert sie sich, in der Stube in der Wolliner Straße purer Schöpfergeist und draußen, in der Nähe von Mauer und Grenzstreifen Stille. Temperamentvoll funkeln ihre Augen: Sie will nicht gelten lassen, dass die Schriftsteller vom Prenzlauer Berg im Elfenbeinturm geschrieben hätten – weder sie noch Adolf Endler, mit dem sie von 1968 bis 1978 verheiratet war, noch sonst einer. „Wo waren denn die, die aus den Stalinschen Prozessen zurückkamen? Waren die etwa in Sturm und Wetter? Die waren doch selber borniert und verknöchert und immer verrannt in ihre idiotischen Konkurrenzkämpfe!“

Sie selbst hat in der Konfrontation mit den Dogmatikern bittere Erfahrungen gesammelt – bis hin zu Hermann Kants Versuch, sie aus dem Schriftstellerverband der DDR auszuschließen. Ihr Sommerhaus im sorbischen Wuischke war für sie immer eine Gegenwelt: „Pappelschwärmer-Welt, Giersch-Welt, Katzen-Welt“. Aber auch die auf den Feldern schuftenden Opas gehen ihr nicht aus dem Sinn: „Ackerrackerer“.

Jetzt überlegt sie, ob sie es schafft, wieder den Frühsommer dort zu verbringen, denn bis Ende Mai dauert die Lesereise. Jetzt erst mal einen Rooibos-Tee! Und dann mit dem Fahrrad an den Spielcasinos und den Auslagen des türkischen Bäckers vorbei, die Schinkel-Kirche rechts liegen lassen und ein Bioöl holen. Das soll gut sein für die Augen.

Elke Erb blättert in „Deins“, dem kleinen Buch, das 31 Huldigungen namhafter Autoren von Nora Bossong bis Ursula Krechel, von Steffen Popp bis Hans Thill, von Barbara Köhler bis Uljana Wolf enthält. Bert Papenfuß hat eine Montage beigesteuert, Ernest Wichner ein wunderbares Gedicht über die Erbsche Grammatik. Ihr Gedicht „Ladies betreffend“ steht gleich drei Mal im Fokus. Überhaupt genießt sie eine Bewunderung junger Dichter, die nicht viele ihrer Generation für sich beanspruchen können.

„Deins“ nimmt die blitzenden Gedankenfäden der Elke Erb auf und spinnt sie weiter. Wer immer von Erbs hermetischer Lyrik spricht, sieht sich hier mit offenen Dialogen konfrontiert. Und die taschenbuchartigen, im Digitaldruck hergestellten Roughbooks, die Urs Engeler ohne ISBN-Nummer nur übers Internet vertreibt, verleiht ihnen etwas angenehm Alltägliches. „Diese Bücher sind Gebrauchsgegenstände“, sagt die Autorin: „Man kann sie in die Tasche stecken Und zugleich sind sie doch sehr edel! Die Friederike Mayröcker hat gesagt, so ein Roughbook sei von einer Helligkeit, dass man sich nur so hineinstürzt. Oder umgekehrt: Die Helligkeit stürzt in den Leser.“

Wir freuen uns über ihre neuesten Worterfindungen: „Dieselloktreue“, „Fichtennadelfeinicht“, „Erlösungsgraus“, während es draußen langsam dunkel wird. „Man verwendet oft ein sprachliches Instrumentarium, das unvollkommen ist und immer auch verwaltende Funktion hat.“ Sie schaut deshalb gerne ins Grimmsche Wörterbuch. „Da staune ich, wie viele Worte eigentlich aus Gerichtsverhandlungen kommen. Unglaublich! Die Wörter sind im Laufe der Zeit geglättet worden. Man kann ihre Herkunft nicht mehr erkennen. Aber ich habe einen Instinkt dafür. Die aktiviere ich, wahrscheinlich mit so einer Art rhetorischer Raffinesse, wie sie Zigeunern eigen ist: mit Überreden, Hinströmen, so dass man sich dem nicht mehr entziehen kann.“

Und wie ist es mit den szenischen Texten? Haben die Dialoge tatsächlich stattgefunden? „Nicht unbedingt“, sagt sie. „Da war ich willens, Dinge zusammenzubringen, die nicht zusammengehören. Ich muss aus dem Alltag heraus schreiben. Es gibt nicht überall Verbindungen. Aber dann ist da plötzlich ein Thema. Worte schließen sich aneinander. Das ist wie Leitungen bauen. Und ein Spiel mit Unbestimmtem.“

Eines ihrer Gedichte endet mit den Worten: „Zur Absicht, nein, hätte ich nicht getaugt“. Ist das ihr Credo? „Nein, dahinter steckt ein Geheimnis. Zuerst sollte es heißen: „Zur Nonne, nein, hätte ich nicht getaugt. Aber dann habe ich es geändert. Ich wollte keine vorhandene Existenz angreifen.“ Aus Achtsamkeit? „Auch. Das ist nicht assoziativ, das hat Kraft.“ Und Mitleid und Liebe für alle Kreatur – selbst den „Hirsch, der an den Hufen friert“.

Elke Erb liest am 15. April um 20 Uhr im Berliner Literaturhaus, anlässlich der Verleihung des Preises der Literaturhäuser 2011. Die Laudatio hält Uwe Kolbe. Erbs Buch „Meins“ und die Hommage „Deins“ sind zu beziehen über www.roughbooks.de

Dorothea von Törne

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