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Kultur: Die Wut der späten Jahre

Superstar und Antistar: zum Tod des amerikanischen Sängers Johnny Cash

Der Tod war schon lange hinter ihm her. Vielleicht muss man sich das wie ein seltsames Wettrennen vorstellen, bei dem der Sieger von Anfang an feststand. Doch Johnny Cash schien unverwundbar zu sein: Einer, der Autounfälle, den Alkohol und das Heroin überlebt, muss nichts und niemanden mehr fürchten. Einer seiner größten Hits heißt „I Walk The Line“, und der Mann, der da so unanfechtbar seinen Weg geht, begleitet vom sturen Rhythmus seiner Gitarre, das war natürlich der Sänger selbst. Vor sechs Jahren erfuhr die Welt, dass dieser Weg wohl bald an sein Ende kommen würde. Damals war bei Cash das Shy-Drager-Syndrom diagnostiziert worden, eine seltene, Parkinson-ähnliche Krankheit, die nicht geheilt werden kann.

Shy-Drager, das ist ein fortschreitendes Martyrium. „Am Anfang war es schlimm. Ich zitterte so stark, dass ich mich an der Bettkante festhalten musste. Bei meinen Gehversuchen geriet ich sofort ins Taumeln“, beschrieb Cash die Symptome. Doch der Sänger trotzte der Krankheit. Er ging zwar nicht mehr auf Tournee und gab nur noch wenige Konzerte, aber er nahm weiter Platten auf. „Solitary Man“ und „The Man Comes Around“, 2000 und Ende 2002 erschienen, klangen wie Abschiedswerke. Mit dunkler, immer brüchiger werdender Stimme coverte Cash Stücke von Depeche Mode, Beck oder R.E.M. und sang noch einmal die Gospels und Folksongs seiner Südstaatenkindheit, Klassiker wie „That Lucky Old Sun“ oder „I See A Darkness“.

Diese Alben waren sozusagen Etappensiege im Wettlauf gegen den Tod. In ihrer sparsamen Instrumentierung, die ganz auf Cashs simples Gitarrenspiel und die Kraft seiner Bassstimme zugeschnitten waren, klangen diese letzten Aufnahmen ungemein anrührend. Fast war es, als würde man dem Sänger beim Sterben zuhören. Am frühen Freitagmorgen hat Cash seinen Kampf verloren. Er starb gegen 1 Uhr Ortszeit im Baptist Hospital von Nashville an den Folgen von Shy-Drager und einem schweren Diabetes. Cash, der 71 Jahre alt wurde, hat seine zweite Frau June Carter Cash, mit der er 35 Jahre lang verheiratet war, nur um wenige Monate überlebt. Den Tod fürchtete er nicht. „Wenn Gott meint, dass die Zeit gekommen ist, mich von dieser Welt zu nehmen“, erklärte der tiefreligiöse Star schon 1999, „dann werde ich wieder mit einigen lieben Menschen vereinigt sein, die ich lange nicht gesehen habe.“

Johnny Cash verkaufte mehr als 50 Millionen Platten und wurde mit elf Grammies ausgezeichnet. Er gilt als der weltgrößte Countrystar, aber das ist im Grunde ein Missverständnis. Cash war ein Protestsänger in einer Szene, in der es eigentlich keine Protestsänger gibt. Mit der Heimeligkeit und dem Konservatismus der Mainstream-Szene von Nashville, in der Stetson-tragende Kraftburschen die Schönheit der Rocky Mountains oder der Prärie besingen, hatte er nie viel am Hut. Seine Songs handeln vom wirklichen Leben: von Männern, deren Frauen an Krebs sterben („The Man Who Couldn’t Cry“), von Mädchen, die lieber im Candy-Store als in Hollywood arbeiten („Ballad Of A Teenage Queen“) und von den Insassen von San Quentin oder des Folsom Prison („San Quentin“, „Folsom Prison Blues“), die er „Brüder“ nannte und für die er zahllose Gratiskonzerte gab. Sein Aufstieg gelang über Umwege, es gab immer wieder drogenbedingte Abstürze in seiner Karriere, und mit dem Establishment von Nashville war er jahrzehntelang verkracht.

Als Cash es 1965 in die Grand Ole Opry, den allerheiligsten Show-Tabernakel der C & W-Gemeinde, geschafft hatte, zertrümmerte er – Punk um ein Jahrzehnt vorwegnehmend – mit seinem Mikrofonständer die komplette Bodenbeleuchtung, zornig darüber, dass er das Mikrofon nicht aus seiner Halterung bekam. Die Wut, die auch in den späten Jahren nicht nachließ, war ein Treibstoff seiner Kreativität. Von seiner Plattenfirma CBS, die ihn 1986 nach 28 Jahren wegen anhaltender Erfolglosigkeit feuerte, verabschiedete er sich mit einem provozierend lustlos eingespielten Album, das er „Chicken In Black“ nannte. Für das Video zum Titelsong verkleidete er sich als Huhn. Und als ihm 1996 mit dem Album „Unchained“, unterstützt von Freunden wie Tom Petty, Mick Fleetwood und dem Rock-Produzenten Rick Rubin, das wohl triumphalste seiner zahllosen Comebacks gelungen war, schaltete er im Branchenblatt „Billboard“ eine ganzseitige Anzeige, in der er mit herausgestrecktem Stinkefinger zu sehen war. Darüber stand: „Johnny Cash bedankt sich beim Nashville-Musikestablishment und beim Country-Radio für ihre Unterstützung.“

Cash war ein Mann der Widersprüche, eine Art linksradikaler Konservativer. Mit Richard Nixon und Ronald Reagan war er ebenso befreundet wie mit Janis Joplin und Bob Dylan, dem er 1968 bei der Aufnahme seines bahnbrechenden Countryrockalbums „Nashville Skyline“ beistand. Sein Rebellentum kultivierte Cash auch optisch, seit den Sechzigerjahren sah man ihn nie anders als in schwarzer Kleidung. „You ask me, why I’m always dressed in black?“, fragt er in seinem Bekenntnis-Song „Man In Black“ und gibt gleich darauf die Antwort: „I wear it for the poor and beaten down / Living in the hopeless, hungry part of town.“ In der Welt, die der Sänger jetzt verlassen hat, gab es viele Gründe, Trauer zu tragen: Cash tat es für die Armen, die Einsamen, die Hungrigen und all die Menschen, die ihren Weg zu Gott noch nicht gefunden hatten.

„Mein Name ist John R. Cash. Ich bin am 26. Februar 1932 in Kingsland in Arkansas geboren. Ich bin eines von sieben Kindern: Roy, der Älteste, dann Louise, Jack, ich selbst, Reba, Joanne und Tommy. Wir alle wuchsen mit der Arbeit auf den Baumwollfeldern auf.“ Wer sich so vorstellt, weiß, wo er herkommt: von unten. Das Zitat stammt aus Cashs 1999 erschienener Autobiografie, aber man muss das Buch nicht gelesen haben, um diesen Sound zu kennen: Die Texte der mehr als 500 Songs, die Cash geschrieben hat, sind von ähnlich lakonischer Poesie. Der Country-Antistar entstammte, ähnlich wie Elvis, dem weißen Südstaaten-Subproletariat. Das erste Lied, das er jemals sang, war „I Am Bound For The Promised Land“, und er saß dabei beim Rückweg von einem Ernteeinsatz auf der Ladefläche eines Lastwagens.

Später ging er als G.I. nach Deutschland, seine Einheit war in Landsberg am Lech stationiert, in den Dienstpausen lernte er Gitarre spielen. 1954, nach Ablauf seiner Militärzeit, zog er nach Memphis und landete beim „Sun“-Label, bei dem gerade auch Elvis Presley und Jerry Lee Lewis ihre ersten Platten aufnahmen. Die Debütsingle des Trios „Johnny Cash & The Tennessee Two“ hieß „Cry, Cry, Cry“, 1957 folgte das Album „With His Hot And Blue Guitar“.

Hot And Blue: Das ist Johnny Cashs Gitarrenspiel bis zuletzt geblieben. Man feierte ihn bald als „Ramblin’ Man“, das Revolutionäre an seinem Stil war, dass er die Simplizität der Country-Akkorde mit dem Furor des Rock’n’Roll auflud. Er schaffte es fast im Alleingang, die Traditionsmusik an die Gegenwart anzuschließen. Dass er in den Neunzigerjahren die Musik von U2 oder der Red Hot Chili Peppers für sich entdeckte und plötzlich auch von Fans geliebt wurde, die Country eigentlich blöd fanden, war auch eine Rückkehr zu den Anfängen. Über die Nashville-Bosse sagte er damals: „Ich frage mich, ob die wissen, dass mich, bevor sie mich zum Non-Country-Künstler erklärten, ihre Vorgänger bereits in den Fünfzigern als Non-Country bezeichneten.“ Was bleiben wird von dem Mann, dem „Life“ ein „Gesicht wie aus einem Steckbrief“ attestierte, sind zwei, drei Dutzend unsterbliche Klassiker und Zeilen wie „Love is a burning thing / And it makes a fiery ring“. Wir tragen Trauer.

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