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Gebauter Blitz. Das Jüdische Museum Berlin von Daniel Libeskind.

© Imago

Die Zukunft des Jüdischen Museums Berlin: Her mit der Kettensäge

Am Jüdischen Museum wechseln die Direktoren, doch das Team bleibt. Wichtig ist nun, das erfolgreiche Haus stärker in Berlin zu verwurzeln.

Ein nach Berlin entsandter Museumsexperte aus Neuseeland mit dem schönen Namen Martin Rumsfield wird vom „Stiftungsrat“ des Betonstelen-Memorials zur Gedenkstätte Sachsenhausen versetzt und stürzt sich, während die Ansprüche seiner Familie und der Arbeitsalltag ihn unter Druck setzen, in wilde Szene-Abenteuer – bis er herausfindet, was im Leben wirklich zählt. „Responsibility“ ist ein dunkler „Comic-Thriller“ mit Detektivklischees von Nigel Cox, der bis 2005 als „Storyliner“ die Entwicklung der Dauerausstellung für das zuvor fast gescheiterte Jüdische Museum Berlin (JMB) mitbestimmte. Als Schriftsteller vom anderen Weltende gehörte er zm Team, das der Gründungsdirektor Michael W. Blumenthal rekrutiert hatte, um Berlins größte kulturpolitische Blamage in ein Ruhmesblatt zu verwandeln.

Als jüngst mit Blumenthal dessen Nachfolger Peter Schäfer öffentlich präsentiert wurde, würdigte der scheidende hochgelobte 88-Jährige auch den Beitrag seines Teams zur Erfolgsstory des 2001 eröffneten Hauses. Unter den Entwicklern für das JMB, wie es sich heute darstellt, befand sich Cox, dessen Handschrift die Ausstellungserzählung verrät. Zuvor hatte der Farmerssohn als „Head of Communication and Interpretation“ Neuseelands Nationalmuseum „Te Papa“ vorangebracht. Während seiner Berliner Herausforderung bewahrte er freundlich-kritischen Abstand gegenüber den ewig schuldbewussten, naturverliebten Deutschen, mit denen er sich ironisch verglich: Frühlingsgrün schätze er selber ja auch, „aber ein gutes Buch ist mir lieber. Her mit der Kettensäge!“

Blumenthal betrieb als einstiger Top-Manager Fundraising

2006 ist der 55-jährige Cox in Neuseeland an Krebs gestorben. Er war im Windschatten seines Landsmannes, des „Te Papa“-Designers Ken Gorbey, nach Berlin gekommen, der nun also das Großprojekt an der Kreuzberger Lindenstraße inszenierte. Inszenierung hieß das museumsdidaktische Zauberwort. Der erste Zauberer, den Blumenthal bereits 1998 dafür geholt hatte, war der greise Theater- und Museumsgestalter Jeshajahu „Shaike“ Weinberg, Jahrgang 1918: ein geborener Berliner, zuletzt Ausstellungsplaner des Holocaust Memorial Museum in Washington, was ihn fürs JMB zu qualifizieren schien. Nach Weinbergs Tod im Jahr 2000 übernahmen die Neuseeländer. Während Blumenthal selbst mit der Souveränität des Elder Statesman die neue Struktur des Museums als Bundesstiftung politisch durchsetzte und als gut vernetzter ehemaliger Top-Manager flankierendes Fundraising betrieb, standen Weinberg, Gorbey und Cox für stilistische, inhaltliche Perspektiven: Gründer mit Raum für Direktiven.

Programmprägend. Cilly Kugelmann, Vizedirektorin seit 2002.
Programmprägend. Cilly Kugelmann, Vizedirektorin seit 2002.

© Promo/Yves Sucksdorff

Begonnen hatte die komplexe Genesis des JMB, deren Auswirkungen das Haus und seine Stadt bis heute begleiten, allerdings schon Jahrzehnte früher – eine Prähistorie, die Neuberlinern wenig bekannt ist. 1976 war im Westteil die „Gesellschaft für ein Jüdisches Museum in Berlin“ gegründet, 1979 im Berlin Museum unter der Judaistin Vera Bendt eine Jüdische Abteilung eingerichtet worden. Bendt und ihr Chef Rolf Bothe legen 1987 das wegweisende Orientierungskonzept „Ein eigenständiges Jüdisches Museum als Abteilung des Berlin Museums“ vor; doch gerade die Eigenständigkeit wird dem Projekt in der Folge – während der Planung des Libeskindbaus, bei der Formierung einer übergreifenden Stiftung Stadtmuseum Berlin – verweigert. Als der 1994 engagierte Gründungsdirektor Amnon Barzel erkennt, dass sein Jüdisches Museum im Untergeschoss des Neubaus an der Lindenstraße vor allem Judaica zeigen, aber der Rest des Zickzack-Monuments Spielfläche fürs Stadtmuseum sein soll, kommt es zum Eklat. Das Konzept des undiplomatischen Israelis, eine kulturhistorische Collage aus Stadt- und Geistesgeschichte mit den Reflexen zeitgenössischer Kunst, wird verworfen. Der Pioniertyp, dessen kämpferische Chuzpe Politiker und Verwalter provoziert, wird im Herbst 1997 entlassen.

Ohne den gescheiterten Befreiungsschlag Barzels, der das „integrative Modell“ deutsch-jüdischer Kohabitation als Unterbutterungskonzept entlarvte, aber über keine Kettensäge für gordische Knoten verfügte, wäre Blumenthal kaum als Retter eingeflogen worden. Der im Dezember 1997 angetretene US-Amerikaner rettet neben dem skandalisierten JMB auch den Ruf Deutschlands und Berlins: indem er Barzels Autonomieforderung, weit über dessen Ambitionen hinaus, durchsetzt. Sein Stellvertreter Tom Freudenheim, wie Blumenthal Sohn einer Emigrantenfamilie, versucht noch dessen Berlin-Bezug zu unterstreichen: „The two basic general topics ought to be Jewish and Berlin“, schreibt Freudenheim 1998 zur geplanten Dauerausstellung – und verlässt das JMB im Sommer 2000, nach nur anderthalb Jahren.

Millionen Besucher frequentieren das Museum

Vizedirektorin wird 2002 die Erziehungswissenschaftlerin und Soziologin Cilly Kugelmann. Bis heute steht sie als Programmdirektorin für die inhaltliche Evolution und intellektuelle Qualität des von Millionen Besuchern frequentierten Museums, das Oberflächlichkeiten der Eröffnungsausstellung sukzessive zu verbessern sucht; das im Bereich von Bildung, Forschung und Debatten thematische Tiefenschärfung fördert. Auch der Kanadier Aubrey Pomerance, FU-Absolvent in Philosophie und Judaistik, ist an diesem Prozess beteiligt: Er leitet seit 2001 das JMB-Archiv mit einer Zweigstelle des New Yorker Leo-Baeck-Institutes. Wenn Peter Schäfer als Judaist und Theologe am 1. September Blumenthals Nachfolge antritt, muss der 71-jährige Gelehrte aus Princeton einerseits langjährige US-Verbindungen fürs Fundraising nutzen; zugleich dürfte er jene Schwerpunkte stärken, die Kugelmann und Pomerance am Herzen liegen.

Zu den Pluspunkten der Ära Michael Blumenthal zählte die Verknüpfung des Aufbruchs mit der Kontinuität. Als dienstälteste JMB-Akteure der ersten Stunde gehören bis heute Barzels Mitarbeiter zur Crew: Hellmuth Braun, Leiter der vielfältigen Wechselausstellungen; Inka Bertz, Sammlungsleiterin und Kuratorin für Kunst. Unter Blumenthal wurden viele Ansätze seiner Vordenker umgesetzt – gerade auch die vormals von Barzel betriebene, von städtischer Seite abgelehnte Erzählung der Museumsthemen mit Mitteln der bildenden Kunst.

Und doch ist das Trennungsdrama, an dessen Ende seinerzeit die erleichternde Scheidung vom Berlin Museum stand, nicht wirklich überwunden. Die Hauptstadt trägt das JMB nur noch wie eine Adresse im Titel, verspricht stattdessen in einer absurden Unterzeile „Zwei Jahrtausende deutsch-jüdische Geschichte“: Für das Programm spielt die Stadt keine zentrale Rolle. Berlin-Themen haben eher an der Oranienburger Straße im Centrum Judaicum, das Räume des ersten Berliner Jüdischen Museums (1933–38) nutzt, eine Heimat gefunden. Das dümpelnde Stadtmuseum wiederum vermag sich von der Kettensägen-OP bis heute nicht zu erholen; die Beziehungen zwischen den Häusern, deren Kooperation naheläge, sind eisig.

Die historisch ausdrucksstarke Nachbarschaftsspannung zwischen dem Libeskindbau und dem barockem Kammergerichtspalais des Berlin Museums wurde durch die JMB-Einvernahmung des Altbaus aufgehoben; mit seiner vielversprechenden neuen Akademie auf der anderen Straßenseite erstreckt sich der JMB-Komplex nun expansiv über das Quartier – ein monumentales, gut budgetiertes Bundes-Raumschiff, von lokalen Schwesterinstituten beneidet, in der Kommune wenig verwurzelt. Wäre es beispielsweise denkbar, dass nicht nur Personal einer Service-Firma, sondern auch ehrenamtliche Gastgeber aus dem JMB-Freundeskreis Besucher empfangen und dem Konzept des Dialoges und der Begegnung ein Gesicht verleihen? – Jetzt also die neue Staffel, der neue Intendant: An der Lindenstraße gastiert deutsch-jüdische Geschichte, bleiben Sie dran.

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