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Festivalfilme präsentieren – wie hier in einem der Vorführräume im Cinemaxx – ist eine virtuose Kunst. 2000 Vorstellungen mussten auf der Berlinale reibungslos über die Bühne gehen. Die 400 Festivalfilme stammen aus 21 Ländern, sie werden als digitale Dateien in allen möglichen Formaten zur Verfügung gestellt, auf DVD – und teils auch noch auf Zelluloid.

© Jan Windszus/Berlinale

Die Zukunft des Kinos: Befreit die Fantasie!

Wie sieht das Kino der Zukunft aus? Gucken wir Filme nur noch mobil, auf Tablets und Handys? Eine Prognose der Experten, die bei der Berlinale für die Technik sorgen.

Wenn man bedenkt, dass in den letzten zehn Tagen 1000 Berlinale-Vorführungen von 400 Filmen aus 121 Ländern in 50 Sälen weitgehend pannenlos über die Bühne gingen, grenzt das an ein Wunder. Und auf dem Filmmarkt kommen weitere 1000 Vorführungen hinzu. Noch gibt es Zelluloid, aber die meisten Festivalbeiträge sind digitalisiert. 1600 Vorführungen wurden mit DVDs und Dateien aus aller Herren Länder bestritten, in allen möglichen Formaten, in Kinos mit keineswegs einheitlichen Abspieltechniken. Die Zukunft, sie ist längst Alltag.

Dafür, dass die Berlinale-Kinos fürs Festival fit sind, ist hinter den Kulissen Dolby zuständig, mit 37 eigens installierten digitalen Servern und sechs Technikern. Dass die Firma für guten Ton zuständig ist, weiß irgendwie jeder. Dass sie seit ihren Anfängen bei 30.000 Filmen am Sounddesign mitwirkte und auch die Bildtechnik voranbringt, ist weniger bekannt. Auch nicht, dass das 1970 gegründete Unternehmen seinen Namen keiner Abkürzung, sondern dem amerikanischen Tontechnikpionier Ray Dolby verdankt. Ob der nun der alleinige Erfinder des Mehrkanaltons ist, darüber streiten die Experten zwar. Unstrittig sind seine Verdienste um die Verbreitung hochwertiger Ton- und Bildtechnik – weshalb der 78-Jährige am Donnerstag mit einer Berlinale-Kamera geehrt wurde. Den Oscar und den Lebenswerk-Emmy hat er bereits.

„George Lucas sagt immer: Film ist 50 Prozent Ton“, erklärt Hubert Henle, der als Seniorchef bei den Dolby Laboratories in England tätig ist. Das Ohr guckt mit. Oft wirkt der Sound subtiler – und damit effektiver – als die Bilder. Aber wie gesagt, Dolby, das ist längst nicht mehr nur Rauschreduktion und Stereo Surround, sondern auch die Arbeit an Bildschärfe und Farbtreue. Vor allem bei Festivals und Eventpremieren kümmert sich Dolby um die Technik, bei der Berlinale, in Cannes, bei der Weltpremiere von „Avatar“, der Londoner „Harry Potter“-Premiere im letzten Sommer oder bei den Galas im Cinestar am Potsdamer Platz.

Die Zukunft des Films, wie sieht sie aus, wie hört sie sich an? Und wer erfindet sie eigentlich – die Regisseure oder die Ingenieure, die Künstler oder die Techniker? Es ist ein enges Zusammenspiel, sagt Henle. Die Technik ist zuerst da, dann kommen die Kreativen und entzünden ihre Ideen daran. Boys with toys, die gibt es auf beiden Seiten.

Beispiel 3-D: „Avatar“ wäre ohne technische Innovation nicht möglich gewesen, gleichzeitig verstärkte der Blockbuster den kommerziellen Anreiz zur digitalen Umrüstung der Kinos. Die Beliebtheit von 3-D lässt zwar schon wieder nach, aber das liegt womöglich daran, dass die Technik immer noch zu wünschen übrig lässt. Peter Jackson dreht „The Hobbit“ in 3-D mit 48 statt mit 24 Bildern in der Sekunde, James Cameron hat eine Rate von 60 im Sinn. Das ermöglicht schnellere, flüssigere Bewegungen, ohne Geflimmer und Strobo-Effekte. Befreit die Produktionsmittel! Sprengt die Grenzen des Möglichen! Das ist seit den Gebrüdern Lumière das Ziel aller Filmpioniere. Dolby bastelt zurzeit unter anderem an einem echten SurroundSound, mit Deckenlautsprechern, so dass der Regen im Kino von oben prasseln kann. Fernziel Raumklang: Bisher verteilt sich noch der beste Sound lediglich in der Fläche.

Auch visuell ist die perfekte Illusion, die das Kino ja bieten möchte, nach wie vor Beschränkungen unterworfen, Hubert Henle hat schöne Beispiele parat: „Gestreifte Hemden sind ein ,No Go’. Auch ein kariertes Hemd hinterm Zaun geht nicht, das lernt man im Kamerastudium in der ersten Stunde.“ Ebenfalls nicht machbar: der schnelle Wechsel von gleißendem Licht zu dunklem Schatten, den das Auge mühelos bewerkstelligt.

So basteln die Filmingenieure an der Entfesselung der Fantasie. Zumal das Kino angesichts der längst erschwinglichen XXL-Heimkinos mehr denn je darauf angewiesen ist, das Besondere zu bieten, angefangen bei der technisch besten Präsentation. Damit ist es bei den vor gut 20 Jahren eröffneten Multiplexkinos heute mitunter lausig bestellt. „Die letzte Wartung des Kinoprozessors ist oft eine Ewigkeit her“, meint Henle. Ebenso wichtig sind echte Alleinstellungsmerkmale. Das Event, auch abseits des Festivalrummels. 3-D für die Jugend. Premiumkinos mit Ledersesseln und gutem Rotwein für die wachsende Zahl der älteren Zuschauer. Und ein immer besseres Bild. War der Ehrgeiz zunächst darauf gerichtet, dass ein Digitalbild ebenso gut wie 35 Millimeter aussieht, geht es jetzt um noch mehr Brillanz, 4 K statt 2 K zum Beispiel, die vierfache Anzahl der Bildpunkte.

Das Ungesehene, Unerhörte als Zukunftschance für das gute alte Lichtspieltheater, das ist eine. Das andere ist die Standardisierung: Der klassische Projektor sah weltweit gleich aus, eine Filmkopie konnte man in Nordkorea genauso gut abspielen wie in Los Angeles. Wobei auch das 35-Millimeter-Einheitsformat nicht über Nacht entstand. Das digitale Zeitalter steckt gerade in einem neuen Standardisierungsprozess, den vor allem die Hollywoodstudios vorantreiben.

Julian Pinn, bei den Dolby Laboratories für die Entwicklung des Filmservice zuständig, nennt das Kino „das fünfte Format“. Film ist längst mobil geworden, wer sich um die Technik kümmert, muss auch den Fernseher, den PC, den Tablet, das Smartphone im Blick haben. Im Fachjargon heißt das 4-Screen-Technologie. Deren größte Herausforderung: Eine Filmdatei muss sich künftig allen Formaten anpassen können – und sich im Kino in seinem allerschönsten Outfit präsentieren. Wer hier das Rennen macht (und die Rechteproblematik löst), der verdient viel Geld.

Künftig, so erklärt es Julian Pinn, kaufe man keinen Film mehr auf DVD oder als Video-on-Demand, sondern die Rechte am Inhalt. Je nachdem, ob man sich ihn auf dem Plasmabildschirm oder dem Tablet anschauen will, begreift der Online-Provider automatisch, wie er ihn optimal präsentiert. Zukunftsmusik? Dem Kino bangt davor, seine nostalgische Rückbesinnung auf die eigenen Anfänge – siehe „The Artist“, „Hugo Cabret“ oder auf der Berlinale „Tabu“ – ist dafür ein Indiz.

Aber egal wie viele Dimensionen und Pixel unsere Displays eines Tages zu bieten haben, das Gemeinschaftserlebnis im dunklen Saal vor großer Leinwand wird die mobile Technik niemals ersetzen.

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