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DIE FOTOS DIESER SEITEN: Ende der Angst

Trifft eine protestierende auf eine uniformierte Masse, so ist das unglaublich eindrücklich, schreibt Martin Pollack im Vorwort zu Chris Niedenthalers Bildband „In Your Face“, der diese und die folgenden Seiten illustriert. Denn dann genüge oft schon ein Funke, um die Gewalt zwischen den Fronten eskalieren zu lassen.

Trifft eine protestierende auf eine uniformierte Masse, so ist das unglaublich eindrücklich, schreibt Martin Pollack im Vorwort zu Chris Niedenthalers Bildband „In Your Face“, der diese und die folgenden Seiten illustriert. Denn dann genüge oft schon ein Funke, um die Gewalt zwischen den Fronten eskalieren zu lassen. Aber: „Am Ende sind es meist einzelne Menschen, einzelne Gesichter, aus der anonymen Menge hervorgehoben, einzelne Episoden und Ereignisse, die im Gedächtnis haften bleiben.“ Genau solche Momente finden sich in „In Your Face“, einer Bilderstrecke über die Umbruchzeit in den heute ehemaligen sowjetischen Staaten. Pollack, Preisträger des diesjährigen Leipziger Buchpreises zur Europäischen Verständigung, veröffentlicht ihn im April, gemeinsam mit dem polnisch-britischen Fotografen Chris Niedenthal.

Die große Kunst aus journalistischer Sicht ist es, ein Gespür für diese einprägsamen Momente zu entwickeln, Bilder zu schaffen, die auch nach Jahren nichts an Ausdruckskraft verlieren. Das beherrscht Chris Niedenthal, mit dem Pollack (Portrait auf der nächsten Seite) in den 1980er und 1990er Jahren viele Geschichten machte. Mit ihm reiste er auch im Sommer 1992 durch die Tschechoslowakei, die kurz vor der Teilung in Slowakei und Tschechien stand. Abseits der Großstädte, auf einem Heufeld, trafen sie Jozef Pargigal, einen alten Bauern mit von der Sonne verbranntem Gesicht. „Cecha do mecha a mech do Dunaja“ – „den Tschechen in den Sack und den Sack in die Donau“ – habe er gesagt, daran erinnert sich Pollack nach all den Jahren noch ganz genau.

Das Foto des Bauern, noch heute drückt es die Umstände von damals aus. Wie die 79 weiteren Fotografien, die unter anderem in Tschechien, Polen und Deutschland entstanden sind. Ein junges Pärchen, küssend in einer Neubrandenburger Diskothek, eine Familie in Warschau, neben einem Betonmischer stehend, ein junger Demonstrant in Prag, den Blick gen Himmel gerichtet, zusammen drücken sie etwas aus, das Pollack „das Ende der Angst“ nennt. Ein Gefühl, das in jenen Jahren durch alle Länder des Sozialismus geisterte. Es verdeutlicht die Freude darüber, endlich die Fesseln des alten Systems ablegen zu können, aber auch die Unsicherheit in der neuen Umgebung. jde

– Chris Niedenthal: In Your Face. Bilder aus unserer jüngeren Geschichte. Edition fotoTAPETA

Berlin/Warschau 2011. 168 Seiten, 24,90 €.

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