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Seelenamt für Schlingensief: Dies ist mein Leib

Es ist die Gemeinde, in der er Messdiener war: In der Oberhausener Herz-Jesu-Kirche wurde für Christoph Schlingensief ein Trauergottesdienst zelebriert. Deutschlands Theaterkarawane machte Station.

Insgeheim hatte man doch gehofft, dass etwas Unvorhergesehenes passiert. Dass an diesem Montag kein Trauergottesdienst abgehalten wird für Christoph Schlingensief, in der Oberhausener Herz-Jesu-Kirche, sondern das Theater noch einmal alles bannt – den Tod, die letzten Riten, die katholische Liturgie. Aber dann tragen sie ihn im Sarg hinaus aus dem Gotteshaus, in dem er Messdiener war, bevor er Künstler wurde, und zurück bleibt sein lächelndes Porträt vor dem Altar.

Es mag wie ein Sakrileg klingen, aber so ähnlich hatte man die Szene schon einmal erlebt, vor zwei Jahren im nahen Duisburg, dort waren für Christoph Schlingensiefs „Kirche der Angst vor dem Fremden in mir“ der Altarraum und die bunten Glasfenster der Herz-Jesu-Kirche in einer stillgelegten Zeche nachgebaut worden. In jener Fluxus-Messe, die den Krebs austreiben sollte, sprang Schlingensief am Ende selbst auf die Bühne, zelebrierte eine Art Voodoo-Ritual, warf Hostien in die Luft und initiierte ein wildes Fest.

Pfarrer Michael Dörnemann erinnert an diese Transsubstantiation von Kirche und Theater. Der Geistliche steht dabei im Originalbühnenbild, die Rollen sind zurückgetauscht. Es ist kein Spiel mehr, und vielleicht war es das bei Schlingensief nie – nur ein Spiel. So hat er zuletzt viele Menschen berührt, das kann man nicht ohne Mystik, ohne Theologie erklären.

Viele Theaterleute sind nach Oberhausen gekommen, um sich von „Christoph“ zu verabschieden, der am 21. August in Berlin gestorben ist. Zur Trauergemeinde gehören neben Altbundespräsident Horst Köhler, der das Operndorf-Projekt in Afrika unterstützte, auch Eva Wagner-Pasquier, Jürgen Flimm, Alexander Kluge, Leander Haußmann, Helene Hegemann, Ulrich Khuon, Frank Castorf, Martin Wuttke und Sepp Bierbichler. Auch der Geistliche sagt „Christoph“ und dass er zu seinen Wurzeln zurückgekehrt sei – das ist nicht nur phonetisch nahe an Christus. Dass Kirche und Kunst einander zum Verwechseln ähnlich werden, das hat es in unseren agnostischen Breiten lange nicht mehr gegeben.

Auch die Totenpredigt dreht sich um eine hochtheatralische Geschichte, um die Auferweckung des Lazarus in Bethanien. Der Geistliche spricht von Christi Mut, „ich“ zu sagen. Ich bin die Auferstehung und das Leben. Dörnemann redet mit großer Leidenschaft vor all den Theatermenschen, einmal mehr zerfließen die Grenzen von Gottesdienst und Theater – so wie Schlingensief es aus sich herausholte. Das Lazarus-Drama im Johannes-Evangelium liest sich wie eine Generalprobe für die Auferstehung Christi. Nach der Auferweckung des Toten wird der Gottessohn bald verhaftet, er hat der Wunder genug getan in den Augen seiner Feinde.

Der Geistliche gibt der Trauergemeinde ein schönes Wort mit auf den Weg. Das, was Christoph Schlingensief war, was er getan hat, werde die Menschen noch lange begleiten, müssten sie es doch erst einmal verstehen. Der Organist spielt nach „O Haupt voll Blut und Wunden“ ein paar freie Rhythmen, es klingt wie „Caravan“ von Duke Ellington. Theaterleute umarmen einander und trocknen die Tränen. Ihre Karawane zieht weiter. Das ist der Trost. Rüdiger Schaper

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