zum Hauptinhalt

Kultur: Dönerromantik

CHANSON Der Fersehturm ist nur deshalb so spitz, damit er in den Himmel pieksen und alle Oststernchen runterfallen lassen kann. Unten angekommen, finden sie vielleicht Platz in einer Einkaufstüte.

CHANSON

Der Fersehturm ist nur deshalb so spitz, damit er in den Himmel pieksen und alle Oststernchen runterfallen lassen kann. Unten angekommen, finden sie vielleicht Platz in einer Einkaufstüte. Dort liegt auch schon das Herz des Cowboys von Berlin, der eine Ranch im Hinterhof besitzt und sein Pferd in Potsdam vergessen hat. So liegen die Dinge jedenfalls bei Sven Ratzke, dessen Chanson-Programm „Heaven is in Germany" jetzt in der Regie von Axel Andree im BKA Premiere hatte (Mehringdamm 34, Kreuzberg, weitere Vorstellungen am 25.9 und vom 27. bis 29.9., 20 Uhr). Der Titel ist höchstens halb ironisch gemeint, auch wenn das, was Ratzke in den Sinn kommt, sobald er an Deutschland denkt, nicht wirklich himmlisch ist: Autobahnen, Raststätten, Metropolen wie Bottrop und die bizarre Schönheit Berliner Ausfallstraßen. Selbst im Dönerladen hat der Chansonier lyrische Gefühle: „Das Licht des Spielautomaten glänzte in seinen Augen". Andere Liebes- und Lebensgeschichten spielen sich im Taxi, beim Nachhauseweg oder auf dem Alexanderplatz ab. Die wunderbaren Texte halten die Balance zwischen traumverlorener Sentimentalität und überraschendem Witz, bevor es zu pathetisch wird, kriegen sie immer noch rechtzeitig die Kurve. Und Ratzke verfügt nicht nur über eine ausdrucksstarke Stimme, er legt auch vorbildliches Diven-Gebaren an den Tag. Der 28-jährige Sänger ist in seinen Gesten genauso wandlungsfähig wie die changierenden Stimmungen in seinen Liedern, die zurückhaltend von Uwe Matschke am Klavier begleitet werden. Die Zuschauer rasen und können nicht genug kriegen. Als das Repertoire erschöpft ist, fragt Ratzke einfach nach den n zweier Besucherinnen in der ersten Reihe und macht daraus eine romantische Moritat mit „Anna“ und „Viola“ in den Hauptrollen. „Think about me!", hatte der Sänger vorher gebarmt. Ein überflüssiger Appell: Vergessen wird man ihn nach diesem erlesenen Abend ohnehin nicht. Anna Schmitz-Avila

NAME

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false