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Opernsängerin Natascha.

© realfictionfilme

Doku aus Abchasien: "Domino Effekt": Szenen einer Liebe

Eigentlich sollte es um die Domino-Weltmeisterschaft in Abchasien gehen, dann aber war die Liebe zwischen dem Sportminister und einer russischen Sängerin weitaus aufregender: Die hinreißende Doku "Domino Effekt" geht entschieden eigene Wege.

Rafael ist Sportminister des international kaum anerkannten Fast-Kaukasus-Staates Abchasien und gibt mit markantem Profil, schwer romantischen Anflügen und glühendem Nationalstolz einen „Kaukasier“ wie aus dem Bilderbuch. Natascha ist nicht nur im Namen das Klischeebild einer jungen Russin: Zu jeder Tageszeit perfekt geschminkt und die sanften Rundungen kokett in schmeichelhaftes Tuch geschmiegt. Doch die beiden sind keine Fantasieprodukte, sondern echt – und zu Beginn der Drehzeit ein frisch verliebtes Paar, das sich in einem künstlich angelegten Bambuswäldchen professionell ablichten lässt. Da hatte Natascha gerade ihre Familie in Russland verlassen und war zu der neuen Liebe ins abchasische Suchumi (abchasisch: Aqwa) gezogen. Nur in den Ferien kommt auch das blonde Töchterlein per Eisenbahn zu Besuch.

Dann ist Natascha von Rafael wieder schwanger und träumt davon, den Kleinen „Alain“ oder „Anri“ (wie „Henri“) zu nennen; Namen die ihrem Gatten für einen echten Abchasier unpassend europäisierend vorkommen. Dass das bald nicht der einzige Konflikt der im Glückstaumel begonnenen interkulturellen Beziehung ist, hat auch mit der besonderen historischen Konstellation zu tun: Denn das 1993 nach kurzem blutigem Krieg mit russischer Beteiligung von Georgien abgespaltene Land ist immer noch stark vom großen Nachbarn Russland abhängig, und nur vier Staaten gestehen ihm Staats-Status zu. Derlei Kränkungen kompensieren die laut Untertiteln 100 000 und laut Wikipedia 240 000 Einwohner durch heftigen Patriotismus. Schlecht für die leicht prätentiöse Natascha, der mangelnde berufliche und familiäre Anerkennung so sehr zusetzen, dass sie eines Tages mitten in ihrer Schwangerschaft unvermittelt in die Heimat abreist.

Verrostete Schiffe, kaputte Seebrücken

„Domino Effekt“ beginnt mit einem langen Schwenk über verrostete Schiffe und Seebrücken, deren ehemaliger Glanz sich gerade noch ahnen lässt. Schließlich waren die abchasischen Kurorte am Schwarzen Meer wegen ihres subtropischen Klimas zu Sowjetzeiten beliebte Urlaubsgebiete für Privilegierte. Heute versucht man sich – jenseits des Wein- und Gemüseanbaus – auch langsam wieder im Tourismus zu etablieren. Doch bisher ist das Land nicht einmal ins internationale Postnetz eingebunden. Sportminister Rafael will dieser Abschottung mit der Ausrichtung der Weltmeisterschaft im Nationalsport Domino und dazugehöriger „großer Marketingkampagne“ entgegenwirken. Doch auch die hierzu anreisenden Sportler wirken trotz Fähnchenwinkens und schmissigem Täterätätä wie ein versprengter Haufen Pauschaltouristen. Und dann fällt, mal wieder, der Strom aus – ausgerechnet zum Eröffnungsspiel.

Sportminister Rafael.
Sportminister Rafael.

© realfictionfilme

Die polnischen Filmemacher Elwira Niewiera und Piotr Rosolowski weben um ihre melancholische Liebesgeschichte viele solcher Alltagsszenen aus einem Land, dessen Sportminister mit seiner Familie unerkannt am Strand den Sonnenuntergang genießen kann und in dessen „Nationalstadion“ bei einer Fußballmeisterschaft die Ränge dünner besetzt sind als das Feld. Fast perfekt funktioniert die Balance zwischen den intim beiläufig erzählten Szenen einer Ehe und den Mosaiksplittern eines oft als sympathisches Absurdistan schillernden Landes am Rande unserer Welt. So gerät die von Piotr Rosolowski mit schwebender Leichtigkeit fotografierte deutschpolnische Koproduktion zu einem der beglückendsten Momente des noch jungen Kinojahres.

In Berlin im fsk, Hackesche Höfe, Krokodil (alle OmU)

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