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Doku über den Friedhof Weißensee: "Im Himmel, unter der Erde"

Britta Wauers Doku über den Friedhof Weißensee bietet raffiniert zeitgeraffte Vergänglichkeitsvignetten, beschönigt dabei aber die jüdisch-deutsche Geschichte.

Rabbiner William Wolff ist ein schmächtiger alter Mann, der so lausbübisch wie lebensklug seine Arbeit als religiöser Trauerbegleiter erläutert. Der Mann, Traum eines jeden Dokumentarfilmprojekts, hat in Britta Wauers „Im Himmel, unter der Erde“ über die Geschichte des jüdischen Friedhofs in Berlin-Weißensee das erste und das letzte Wort. Doch auch Harry Kindermann, ein behäbiger Urberliner, hat Bemerkenswertes über den Ort zu erzählen, den er als Sohn eines Friedhofsmaurers als Spielplatz, Fahrschule, Liebeslaube, Arbeitsstätte und Zufluchtsort kennenlernte. Das Friedhofsgelände selbst blieb in den zwölf Jahren Naziherrschaft erstaunlicherweise weitgehend unbehelligt, auch das Archiv hat ohne größere Schäden überlebt. So kommen nun aus aller Welt Nachfahren aus Deutschland geflüchteter Familien, um die Gräber ihrer Angehörigen zu suchen.

Einige von ihnen geben im Film Auskunft. Aber auch die steinernen Bauten selbst sind sprechende Zeugen ihrer Zeit, die monumental oder als unter Efeu verborgene Grabinschriften von Protz und Reichtum berichten, von Heldentod im Feld oder Familiensuiziden unter der Nazi-Bedrohung. Auch heute noch gibt es gelegentlich Bestattungen auf dem 1880 begründeten Friedhof. Mit seinen über 115000 Gräbern ist er nicht nur einer der größten jüdischen Friedhöfe Europas, sondern auch eine lebendiger Ort jüdisch-Berliner Geschichte.

Vier Jahre lang hat Britta Wauer, die zuletzt „Gerdas Schweigen“ drehte, für ihren Film recherchiert, Zeitzeugen und Archivmaterial zusammengetragen und mit Kameramann Kaspar Köpke Alleen und Grabdetails, flimmerndes Grün und Besuchergruppen gefilmt. Immer wieder wird der tages-, jahres- und epochenzeitliche Ablauf dabei zu raffiniert zeitgerafften Vergänglichkeitsvignetten verdichtet. Zu oft folgt Wauer aber auch dem Hang zu impressionistischer Tüpfelei belangloser Gefälligkeiten, wobei sie viel Hässliches von frühen antisemitischen Umtrieben bis zu aktuellen Friedhofsschändungen ausblendet. Jüdisch-deutsche Geschichte scheint in nur durch die Nazizeit unterbrochenem sanftmildem Licht. Derlei anbiedernde Attitüde verstärkt der Soundtrack des Berliner Komponisten Karim Sebastian Elias, der mit sattem Orchestergegeige fast den ganzen Film überdröhnt. Wie hatte noch Friedhofsinspektor Ron Kohls den motorsägenden Friedhofsgärtner zur Ordnung gerufen? Bitte ausschalten!
Zu sehen in: Broadway, Cinema Paris, Eiszeit, FaF, Hackesche Höfe, International, Toni

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