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Donald Ray Pollocks Buch "Knockemstiff": Kaputt, aber gesegnet

Donald Ray Pollocks faszinierend düsterer Erzählzyklus „Knockemstiff“.

Es ist ein seltener Moment der Reflexion in Donald Ray Pollocks Erzählsammlung „Knockemstiff“: „Das gilt doch für die meisten für uns; unser Leben zu vergessen ist das Beste, was wir zustande bringen“, räsonniert da jemand in einer Kneipe. Dem Mann kann nach der Lektüre dieser Geschichten nur zugestimmt werden. Die Menschen darin sind dem Alkohol verfallen oder anderen Drogen, legalen wie Psychopharmaka oder Insektensprays, illegalen wie Kokain, Acid oder Speed. Und wenn keine Drogen für die Vergessensarbeit sorgen, tun es auch Berge von Junkfood und stundenlanges Fernsehen. Die Frage ist natürlich, ob es wirklich so trostlos war und ist in Knockemstiff, Ohio, einem kleinen, tatsächlich existierenden, aber aufgegebenen Ort im Mittleren Westen der USA? Dass hier nur Drogen das Leben erträglich gestalten können? Oder ob die Trostlosigkeit nicht auch von den Drogen herrührt?

Ein Teufelskreislauf ist es für Pollocks Figuren allemal. Es gibt kein Entrinnen für Del, der ein paar Stunden vor seiner psychisch kranken Ehefrau zu flüchten versucht; nicht für Big Bernie Givens, der noch einmal von vorn anfangen will, aber wieder nur in eine Prügelei gerät: „Ich bin sechsundfünfzig, verlottert und fett und hocke im südlichen Ohio wie das Grinsen auf dem Arsch eines toten Clowns.“ Und nicht für alle anderen, die oft allein deshalb bleiben, weil sie an Alzheimer erkrankte, körperlich oder geistig behinderte Angehörige pflegen müssen.

Drogen, (familiäre) Gewalt, Inszest, sexuelle Perversionen: Donald Ray Pollock kennt keine Gnade und keine Hoffnungsschimmer. Vermutlich weiß er genau, wovon er in seinen zeitlich von den vierziger bis zu den neunziger Jahren angesiedelten Erzählungen spricht. Geboren 1954, wuchs er in Knockemstiff auf und arbeitete drei Jahrzehnte in einer Papiermühle (in dem Buch der einzige größere Arbeitgeber in der Gegend). Einen Schulabschluss holte er in Abendkursen nach, das literarische Schreiben lernte er im hohen Alter bei einem Creative-WritingStudium an der Ohio State University. 2008 debütierte er mit „Knockemstiff“ in den USA.

Pollocks düstere, gewalttätigen Geschichten erinnern an Romane von Cormac McCarthy oder Jim Thompson. Und gewiss gehört auch Sherwood Andersens Klassiker „Winesburg, Ohio“ zu der literarischen Ahnenreihe Pollocks, nicht zuletzt weil die „Knockemstiff“-Figuren in den einzelnen Erzählungen wiederkehren und Donald Ray Pollock gar einen Bogen von der ersten bis zur letzten schlägt. Den kleinen Bobby, der sich in der ersten Geschichte in der Gegenwart seines Vaters in der Toilette eines Drive-Ins mit einem größeren Jungen prügeln muss, erleben wir in der letzten in seinen mittleren Jahren: Er ist trockener Alkoholiker und besucht seine Familie; der Vater ist pflegebedürftig, schaut nur noch Boxkämpfe, ein Despot wie eh und je. Es endet mit den Worten: „Der Kampf war fast zu Ende.“

Man muss stark sein bei der Lektüre dieses krassen Buches, in dem jedes Wort und jeder Satz sitzt. Einfach pausieren oder aufhören ist aber nicht möglich. Da geht es einem wie dem Icherzähler aus der Geschichte „Gesegnet“, der nach einem Krankenhausaufenthalt morphinabhängig wird: „Es war eine wunderbare Art der Versehrtheit, zumindest in den ersten paar Monaten. Ich fühlte mich gesegnet.“ Und sich einmal noch gesegnet fühlen, das will der Mann auch, als er endlich aus Knockemstiff zu verschwinden versucht. Sicher ist, dass er das nie schaffen wird.

Donald Ray Pollock: Knockemstiff. Aus dem amerikanischen Englisch von Peter Torberg. Liebeskind, München 2013. 256 S., 18, 90 €.

Juliane Oelsner

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