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Donna Leons neuer Brunetti-Krimi „Das goldene Ei“: Dolce far Polente

Im 22. Brunetti-Band "Das goldene Ei" bedient Donna Leon die Bedürfnisse ihre Stammleser großzügig - gerät allerdings auch etwas aus dem Fokus.

Brunetti blieb neben ihm stehen und genoss den Anblick der Gebäude und das Licht, verzaubert wie so oft von der unbekümmerten, grenzenlosen Schönheit dieser Stadt. Stein, Himmel, Gold, Marmor, Raum, Proportionen, Chaos, Durcheinander, Pracht.“ Das sind Sätze, wie Donna-Leon-Leser sie lieben. Wer die Krimis der amerikanischen Autorin liest, will stets auch seine Venedig- Sehnsucht stillen – und seine Vorurteile bestätigt bekommen, die positiven wie die negativen. Im 22. Brunetti-Band bedient Donna Leon die Bedürfnisse ihre Stammleser großzügig, streut italienische Wörter ein, damit sich Bildungsbürger als Kenner fühlen können, wenn sie wissen, was tramezzini, campo, campiello bedeuten.

Und sie frönt ausführlich dem wohlfeilen Kulturpessimismus, wenn sie die Vetterwirtschaft beklagt, die den Staat aushöhlt und dazu führt, dass die Bürger sogar der Polizei misstrauen. Illusionslos blickt der Commissario auf Italien: Die meisten Kinder seiner Freunde sind arbeitslos, den eigenen Nachwuchs möchte er lieber nicht in der Heimat studieren lassen, natürlich geht er nicht zu einem Landsmann, wenn er Zahnschmerzen hat, sondern zu einem niederländischen Arzt mit Praxis am Lido. Es ärgert ihn, dass die Leute nur noch auf ihre Handys starren, statt eine gedruckte Tageszeitung zu lesen, und so weiter und so fort. Aber er begehrt nicht auf, fügt sich sogar drein, als ihn der Chef anweist, dafür zu sorgen, dass die Schwiegertochter des Bürgermeisters weiter Gesetze brechen kann.

Der Kriminalfall, ohne den ein Brunetti-Buch nun einmal nicht auskommt, gerät Donna Leon bei all dem Lamentieren allerdings etwas aus dem Fokus. Träge wie das Kanalwasser fließt die Geschichte dahin, die erste wirklich überraschende Wendung findet sich auf Seite 160 – und die Auflösung werden wohl nur Menschen für glaubhaft halten, die niemals Kinder großgezogen haben.

Aus privatem Interesse widmet sich der Staatsangestellte Brunetti eine volle Woche lang während der Arbeitszeit dem rätselhaften Tod eines Mannes, der als taubstumm und geistig zurückgeblieben gilt. Wobei er bevorzugt in Bars sitzt, einen Espresso oder ein Glas Weißwein in der Hand: dolce far Polente. „Er dachte an den Spruch, den er von klein auf die Venezianer sagen hörte: Alles schwankt, aber nichts kippt.“

Donna Leon: Das goldene Ei. Roman. Aus dem Amerikanischen von Werner Schmitz. Diogenes Verlag, Zürich 2014. 368 Seiten, 22,90 €.

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