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Kultur: Drehen gegen die Zeit

Nur 48 Stunden: Beim „Britspotting“-Festival werden Kurzfilme gezeigt, die in zwei Tagen entstanden sind

Als noch vier Stunden bleiben, passiert das Unvermeidliche. Joachim Mühleisen nickt ein. „Ich mach nur die Augen zu“, hat der Filmemacher eben noch gesagt. Jetzt liegt er tief atmend auf der Couch. Draußen dämmert es bereits.

Währenddessen starrt Kollege Sascha Quednau auf den Computerbildschirm in einer Ecke des kleinen Hinterhofzimmers. Vor ihm quillt ein Aschenbecher über. Rund um die Computertastatur liegen Bananenschalen. Quednau nimmt den letzten Schluck aus einer Zwei-Literflasche Cola und reibt sich die geröteten Augen: „Ich glaube, ich schaffe es auch alleine.“

Begonnen hatte der Wahnsinn 44 Stunden zuvor im Kino Acud. Vor der Leinwand steht Johnnie Oddball und erklärt noch mal die Regeln des „48hour Film Challenge“, das im Rahmen des diesjährigen Berliner „Britspotting“ Festivals ausgetragen wird. Neunzig Berliner Filmemacher hören zu: „Ihr zieht jetzt ein Genre und einen Titel. Dann habt ihr 48 Stunden Zeit, einen Film zu machen.“ Der muss drei Minuten lang sein. Dialoge auf Englisch. Bevor die Teams ausschwärmen, führt Oddball noch ein aufmunterndes Wort: „Denkt dran: Die einzige Methode, das Filmemachen zu lernen, ist einen Film zu drehen!“

Der Engländer ist der Erfinder des „48 Stunden Filmwettbewerbs“. Zwar geht es beim „Britspotting“-Festival vorrangig um das unabhängige britische Kino. Doch beim „Film Challenge“ sehe man das nicht so eng. „Die Idee ist britisch“, so Oddball, „nicht lange rumfackeln, gleich loslegen“ – und einen Wettstreit draus machen.

Mühleisen greift in die erste Blechdose. „Melodrama“ steht auf dem Zettel. Er fasst in die zweite Dose. Dort sind die Titel drin: „The Schemer“, der Ränkeschmied. Und die Uhr tickt bereits rückwärts. Vor dem „Acud wartet Drehbuchschreiber Stefan Rehberger. Er hat mehrere Jahre Soaps und Sitcoms fürs Fernsehen geschrieben. Als er Titel und Thema erfährt, stöhnt er: „Scheiße!“ Dann hat er eine Idee: Reiche Lady im Sanatorium braucht Spenderherz. Witwentröster macht sich an sie heran. Sie verliebt sich in ihn und gibt ihm all ihr Geld. Doch er erkennt, was für ein Schwein er ist und spendet sein Herz. Am Ende stellt sich heraus: Sie ist Organhändlerin – und die Ränkeschmiedin.

Mühleisen und Quednau zweifeln. Das höre sich nach ziemlichem Trash an. Man müsse das irgendwie brechen. „Okay, dann machen wir einen Stummfilm“, schlägt Rehberger vor. „Dann sparen wir uns auch die Dialoge.“ Die Sache ist entschieden. Das Sanatorium ist schnell gefunden. Das Restaurant „Nola“ liegt erhöht im Park am Weinbergsweg. „Das ist unser Zauberberg“, sagt Rehberger. Mittlerweile ist es 12 Uhr geworden. Drehbeginn in zwei Stunden. Bis dahin muss Rehberger das Drehbuch fertig haben. Noch 46 Stunden.

14 Uhr: Die Schauspieler sind pünktlich. Axel Schrick trägt Anzug, weißes Hemd und Sonnenbrille, Liane Patt ein Kleid, das die Zwanzigerjahre in Erinnerung ruft. Beide sind professionelle Schauspieler. Erste Einstellung: Schrick sitzt im „Sanatorium“ und trinkt Kaffee. Mühleisen und Quednau probieren verschiedene Kamerapositionen. Schrick wird ungeduldig: „Ihr müsst mal Gas geben, Kinder!“ Um 16 Uhr, vierte Einstellung, Schrick und Patt im Park. Der Himmel verdunkelt sich. Als die ersten Tropfen fallen, wird die Szene unter eine mächtige Buche verlegt. Zwei Haschischdealer rufen herüber, „wir schlagen eure Kamera kaputt, wenn ihr uns filmt“. Keiner beachtet sie. Noch 42 Stunden.

Der Wendepunkt im Film ist gekommen, als der Witwentröster in sich den guten Menschen entdeckt. Schrick kniet nieder, ergreift Patts Hand „mein Herz gehört Ihnen, Madame!“ Zwei kleine Mädchen, die in der Nähe stehen, kichern. Um 18 Uhr ruft Mühleisen „Danke!“. Bis vier Uhr nachts sitzt er mit Quednau am Schnittplatz, sie sichten und speichern das gedrehte Material auf dem Computer ab. Noch 30 Stunden.

Sonntagmorgen, 10 Uhr. Ein Friedhof im Prenzlauer Berg. Patt soll das Grab des Herzspenders besuchen. Nach einiger Zeit findet Quednau ein frisches Grab, Patt legt Blumen darauf. Eine kleine Frau schwingt ihren Stock: Ob man überhaupt eine Genehmigung habe. Noch eine Subjektive, dann packt Mühleisen die Sachen zusammen. Nichts wie weg, bevor es Ärger gibt. Noch 22 Stunden.

Jetzt beginnt die eigentliche Arbeit: Das Schneiden. Um sich einzustimmen, schauen Mühleisen und Quednau alte Chaplin-Filme an. Die beiden 32-Jährigen sind ein eingespieltes Team. Vor kurzem haben sie die Firma „Vitascope“ gegründet, die persönliche Filmporträts anbietet. Beim „48hour Film Challenge“ sind sie dabei, um „mal wieder was Fiktives zu machen“, so Mühleisen. „Das seltsame an diesem Dreh ist, das noch keine Katastrophen passiert sind. Das Buch war schlüssig, die Schauspieler waren pünktlich. Die Kamera hat funktioniert, der Computer läuft auch.“ Um Null Uhr ist der Rohschnitt fertig. Noch 10 Stunden. Mühleisen ist blass, Quednau tränen die Augen. Sie werfen den Reporter raus. „Wir können uns nicht konzentrieren. Komm um vier Uhr wieder.“

Um vier Uhr bleiben noch sechs Stunden bis zur Abgabe. Die Filmemacher haben ein Jazzstück aufgetrieben, dass – etwas manipuliert – perfekt als Hintergrundmusik passt. Während des Überspielens nickt Mühleisen ein. Als er aufwacht ist es 9 Uhr 30. Noch eine halbe Stunde. Quednau hat den Film auf eine DVD kopiert. Mit dem Fahrrad rasen sie zum Acud. Dort wimmelt es von blassen Filmemachern mit zerrauften Haaren. Eine Frau sammelt die Filme ein und lässt sie in einer Stofftasche verschwinden.

Am Abend ruft sie an: Der Film ist unter den zehn besten. Ihr werdet in die britische Botschaft eingeladen. Zur Feier des Tages legen sich Mühleisen und Quednau in zwei Liegestühle im „Sanatorium Nola“ – und nicken ein.

Die 50 besten Filme des „48hour Film Challenge“ laufen heute im Kino Acud, Veteranenstr. 21, Mitte. (12 Uhr und 15 Uhr). Mehr zum Britspotting-Festival unter www.britspotting.de

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