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Kultur: Dresdner Semperoper: Vor dem Aufbruch

"Wie alles war, weiß ich", sagt Erda, die chthonische Göttin. Und Regisseur Willy Decker, der einen neuen und neuartigen "Ring des Nibelungen" an der Dresdner Semperoper mit "Rheingold" eröffnet, lässt darstellen, wie alles wird.

"Wie alles war, weiß ich", sagt Erda, die chthonische Göttin. Und Regisseur Willy Decker, der einen neuen und neuartigen "Ring des Nibelungen" an der Dresdner Semperoper mit "Rheingold" eröffnet, lässt darstellen, wie alles wird.

Es fängt damit an, dass der Dirigent Semyon Bychkov ohne Vorbereitung, das heißt unter Verzicht auf den ihm zustehenden Empfangsapplaus, plötzlich am Pult der Sächsischen Staatskapelle auftaucht und das Zeichen zum Contra-Es, zum ungeteilten Urton gibt. Dann kommt Erda, deren musikalisches Motiv eine Variante des einleitenden Naturmotivs ist, zieht den schwarzen Schleier vor einer Art kosmischem Theaterraum weg und setzt sich, in eine der hinteren Reihen, in der selben Blickrichtung wie das Publikum. Die Sängerin wird Betrachtende des Entstehungsmythos der Tetralogie, obwohl ihr Text, die Warnung vor der Götterdämmerung, erst gegen Ende des "Rheingold" erklingt. Da aber laut Richard Wagner Erdas Schlaf Träumen ist und ihr "Sinnen Walten des Wissens", spricht auch Willy Decker von Erdas Traumspiel.

Der Zuschauerraum auf der Bühne, den Wolfgang Gussmann mit eigenständiger Bildfantasie entworfen hat, nimmt die Natur in sich auf: Die Wellen des Rheins wölben die Stuhlreihen gleichsam ins Surrealistische, ebenso der Riesenwurm, in den der Nibelung Alberich sich zum Beweis seiner Macht verwandelt. Decker spielt nicht Theater im Theater, sondern er schickt Rheintöchter, Götter, Riesen, Nibelungen ins Theater, ins Parkett gewissermaßen, damit sie wechselnd Zuschauer und Handelnde auf kleineren Guckkastenbühnen sein können: Betrachter und Betrachtete, die ständig aufeinander reagieren.

Eine Schar von männlichen Voyeuren beäugt, was die Rheintöchter, kahlköpfig wie das Naturwesen Erda, ihnen auf der Szene verheißen. Alberich freilich, in Arbeitskluft mit graugrünlicher Unterwäsche, hält es nicht aus beim bloßen Zusehen: Er gehört keineswegs zu den Gelenkigen, die Theatersessel leicht überklettern wie später der listige Loge. In dieser Verschränkung von Wirklichkeit und Welt und Bühne gewinnt die Aufführung ihr Theaterflair. Dabei geht die Aktion Note für Note mit der Musik, mit Knall und Fall, und wo der Text einmal abweicht - "garstig glatter glitschiger Glimmer" findet sich auf ordentlich bezogenen Theaterstühlen selten! -, entsteht eine feine Komik, die immer auch Theaterwelt reflektiert.

Die Riesen stehen wie zwei bayerische Bauern vor einem Hochgebirgsprospekt, und was sie "stemmten", ist vorläufig ein klassizistisches Walhall-Modell, später beim Einzug der Götter über einen improvisierten Steg eine theatralische Tempelmakulatur, die schief im Gestühl hängt. In der Schlussszene des "Rheingold" wird deutlich, dass Wotan hilflos und die Götterwelt der "Ring"-Tetralogie im Untergang begriffen ist. So gilt der letzte Blick des Gottes nicht dem stolzen Familiensitz Walhall, sondern Erda, der weisen Frau, die ihm zwischen "Rheingold" und "Walküre" Brünnhilde, seine Wunschmaid, gebären wird.

"Rheingold", der Vorabend, das Stück vor dem Stück, führt aus, wie die Figuren ihre Rollen suchen. Das gilt in Deckers Inszenierung vor allem auch dem Motiv der Liebe. Die Verweigerung der Liebe prägt Alberich bis hinein in seinen Fluch, der an dem gestohlenen Ring von nun an haftet. Auf der Strecke bleibt der Riese Fasolt, weil er in die Göttin Freia verliebt ist und daher im Machtkampf mit seinem Bruder Fafner tödlich unterliegt. Wie Decker diese Neigung ausmalt, die in der Partitur steht (wenn Fasolt singt: "Ein Weib zu gewinnen, das wonnig und mild bei uns Armen wohne"), das gleicht in seiner Innigkeit einer ganz ungewöhnlichen, exotischen Beziehung. Semyon Bychkov weist hier darauf hin, dass man Fasolt, den Liebenden, auch in der Musik hört. Und er nimmt sich dieser Stellen, wie überhaupt der zarten Töne der Partitur, mit erhöhter Sensibilität an. Wie er die Kantilene Wotans "in Walhall wohne mit mir" begleitend phrasiert, sucht gewiss seinesgleichen, und dass die kleineren Noten im Verlauf des Vorspiels wie das dramatische Crescendo nach dem Raub des Goldes sein Temperament anstacheln, ist bei diesem Musiker kein Wunder. Als Operndirigent geht er stets mit der Regie.

"Nur wer der Minne Macht versagt": Als erste der Rheintöchter neben Ursula Hesse und Christa Mayer singt Britta Stallmeister das Motto des Vorabends so glockenklar wie bedeutsam. Während Iris Vermillion als Fricka mit Resolutheit glänzt, ist Frode Olsen, ihr Göttergemahl, in der Wotan-Partie noch entwicklungsbedürftig. Ähnlich steht es mit Roland Wagenführer als Loge. Als Erda wird Birgit Remmert aufgeboten, die aktuelle Bayreuther Fricka, in der kleinen Rolle des Froh gefällt Klaus Florian Vogt, neben ihm Hans-Joachim Ketelsen als Donner und Camilla Nylund als Freia. Ein gestandenes Riesenpaar: Johann Tilli und Julian Rodescu. Versteht sich aus dem Konzept, dass die Sympathie dem Verlierer gehört. Sieger in der Publikumsgunst ist Hartmut Welkers renommierter Alberich, der in seinem Fluch mit Deutlichkeit die leisen Töne zu wahren weiß. Worauf die Streicher der Staatskapelle sich dolcissimo in den Anblick des Ringes versenken.

Das Theater will an seinem Beginn eine Spiegelung der Welt sein. Das Dresdner "Rheingold" verheißt viel.

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