zum Hauptinhalt

Kultur: Drum Herz nimm Abschied und gesunde

Was passiert, wenn die unerbittlichen Finanzpolitiker den Staatsopern-Chefdirigenten Daniel Barenboim aus Berlin vertreiben?Frederik Hanssen Wenn das so weiter geht, können wir die Tage zählen, bis Daniel Barenboim das Handtuch wirft.

Was passiert, wenn die unerbittlichen Finanzpolitiker den Staatsopern-Chefdirigenten Daniel Barenboim aus Berlin vertreiben?Frederik Hanssen

Wenn das so weiter geht, können wir die Tage zählen, bis Daniel Barenboim das Handtuch wirft. Zu den Bedingungen jedenfalls, die ihm die Berliner Finanzpolitiker diktieren, wird der Dirigent seinen Taktstock kaum über das Jahr 2002 an der Staatsoper Unter den Linden schwingen wollen. Sieben Millionen Mark zusätzlich, so munkelt man, fordert Barenboim für sein Haus. "Keine Mark mehr!" schallt es ihm aus dem Abgeordnetenhaus entgegen. Spätestens im Dezember 1999 sollte die Entscheidung über Barenboims Zukunft in Berlin fallen, bis jetzt pokerte der Maestro, dass sich mit Hilfe seines Freundes Eberhard Diepgen doch noch eine Lösung in seinem Sinne finden werde. In Chicago, wo man ihn als Chef des Symphony Orchestra höchst zuvorkommend behandelt, verlängerte er seinen Vertrag bis 2005, sein 50-jähriges Bühnendebüt feiert er 2000 in Buenos Aires (wo er mit sieben zum ersten Mal auftrat) und in New York. "Warum sollte ich in Berlin extra Jubiläumskonzerte geben?", sagte er neulich dem Tagesspiegel, "ich bin doch hier zu Hause."

Das könnte sich bald ändern. Barenboim kennt seinen Marktwert genau. Dass das Berliner Philharmonische Orchester Simon Rattle und nicht ihn zum Abbado-Nachfolger wählte, kann er verkraften. Ebenso, dass er bei der Neubesetzung der Chefposten in Bayreuth und Salzburg letztlich nicht zum Zuge kam. Dass ihm aber ein "Unterausschuss Theater" erklärt, was er zu tun und zu lassen habe, wird er kaum hinnehmen. "So kann diese Stadt nicht mit einem Künstler von diesem Rang umgehen!", erregte sich Ex-Kultursenator Ulrich Roloff-Momin am Montag bei einer Podiumsdiskussion in der Staatsoper. Kann sie doch.

Das Horror-Szenario vom drohenden Operntod, das Christa Thoben an die Wand malt, könnte sich vielleicht schon Anfang April erledigen - wenn der Lotto-Beirat das nächste Mal zusammenkommt, um rund 139 Millionen Mark zu verteilen. Zwar sitzt mit Klaus Wowereit einer der schärfsten Kämpfer gegen Etaterhöhungen in dem Gremium, aber dessen Vorsitzender, CDU-Fraktionschef Klaus Landowsky, wird es kaum zulassen können, dass eines der Flaggschiffe der Hauptstadtkultur das "Titanic"-Schicksal ereilt. Trotzdem kann es natürlich nur eine einmalige Rettungsaktion werden. Spätestens ab 2001 muss die Opernszene wieder auf eigenen Beinen stehen. Das ist nur mit schmerzhaften Einschnitten zu schaffen. Und ohne Daniel Barenboim. Bei aller Wertschätzung einem der musikalischsten Künstler unserer Zeit gegenüber: Die Installation Barenboims an der Staatsoper 1992 ist ein Mosaikstein in der künstlerischen Krise, mit der die Berliner Opern parallel zu den Finanzproblemen kämpfen. Mit seiner Vorliebe für Wagner und Mozart hätte Barenboim an die Deutsche Oper gehört, wo die Werke beider Komponisten in überwiegend überzeugenden Produktionen "vorrätig" oder geplant waren. Mit Barenboim als Staatsopernchef waren die vielbeklagten Doubletten ganzer Werkzyklen programmiert. Je mehr die Subventionen schrumpften, desto weniger blieb neben den unantastbaren Barenboim-Projekten aber für die weltweit beklatschte Pflege des Barockrepertoires übrig.

Egal, um welchen Vorstoß zur Kooperation der Berliner Opern es ging, die Staatsoper gehörte selten zu den Initiatoren. Ein gemeinsames Plakat der drei Häuser brauchte vier Jahre bis zur Realisierung, gegen die Eingliederung der Staatsoperntänzer in das BerlinBallett sträubt sich Barenboim bis heute. Dass Kulturstaatsminister Michael Naumann bei seinem Vorschlag, die Hauptstadtkulturmittel auf wenige Institutionen zu beschränken, die Opernhäuser ausschließt, verwundert da kaum. Offiziell heißt es, er wolle "den lokalen Wettbewerb" nicht verzerren, indem er eines der Häuser zur Bundesoper macht. Unausgesprochen bleibt die Aufforderung an seine Berliner Kollegin: Darum musst du dich kümmern. Die Möglichkeit, ab 2002 ein neues Staatsopern-Team berufen zu können, würde ihr die Arbeit wesentlich erleichtern.

Derzeit stehen zwei Namen für die Zukunft der Oper in Berlin: Udo Zimmermann verspricht, der Deutschen Oper ein neues, zeitgemäßes Gesicht zu geben, und Andreas Homoki will als Chefregisseur furchtlos alle Traditionen der Komischen Oper kritisch hinterfragen. Christian Thielemann verlässt die Deutsche, Yakov Kreizberg die Komische Oper, beide haben sich mit ihren Intendanten überworfen. Ginge Barenboim, wären alle drei Chefdirigentenposten neu zu besetzen. Eine enorme Chance für die künftige Berliner Opern-Holding. Deren Grundidee klingt verlockend: Die unabwendbaren Sparleistungen werden durch eine Zusammenlegung aller "nichtkünstlerischen" Bereiche von der Buchhaltung bis zur Bühnentechnik bewerkstelligt, die Kunst wird aus dem Würgegriff der Tarifverträge befreit und die drei autonom arbeitenden neuen künstlerischen Leitungen bekäme wieder Luft zum Atmen - allerdings nur so lange sie Teamgeist beweisen. Zwei Wagner-Premieren innerhalb von drei Tagen, wie in Berlin schon von Intendanten-Eitelkeit diktiert wurden, gehörten endlich der Vergangenheit an. Wo Werkstattkapazitäten - und womöglich sogar Orchestermusiker - zentral verwaltet werden, wird nur selig, wer in Dreieinigkeit regiert.

Was Christa Thoben liest, wenn ihre Seele schwer ist, wie in diesen Tagen, wissen wir nicht. Auf Peter Radunskis Nachttisch lag stets ein Bändchen mit Hermann Hesse-Gedichten. Seine Verse seien ihr und der Berliner Opernszene für die kommenden harten Monate anempfohlen: "... drum Herz nimm Abschied und gesunde."

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false