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Kultur: "Du bist meine Maske" - Das Leben der Dichtergattin Véra Nabokov

Wer war Véra Nabokov? In der Nabokov-Forschung war sie bislang eine blinde Stelle, auch wenn sie unangefochten als die Weltmeisterin im Schriftstellerfrauenwettbewerb gilt.

Wer war Véra Nabokov? In der Nabokov-Forschung war sie bislang eine blinde Stelle, auch wenn sie unangefochten als die Weltmeisterin im Schriftstellerfrauenwettbewerb gilt. Stacy Schiff nähert sich in "Véra - Ein Leben mit Vladimir Nabokov" diesem unbekannten Teil der Nabokov-Story. Sie wird 1902 in St. Petersburg als Tochter eines jüdischen Industriellen geboren. Ihr Eintritt in das Leben des jungen Lyrikers ist dramatisch: Das Schicksal führt sie im Mai 1923 im fremden Berlin auf einem Ball zusammen. Véra trägt eine Wolfsmaske, die sie den ganzen Abend nicht abnimmt. Die Sekretärin / Übersetzerin (die Familie steht kurz vor dem Ruin) ist in die Poesie von Valdimir Sirin (Nabokovs damaliger nom de plume) verliebt, sie bittet ihn zum Rendezvous...

"Du bist meine Maske", wird Nabokov ihr später sagen, eine ideale Metapher für diese Frau. Sie bleibt bis zu ihrem Tod 1991: Muse, Mutter des einzigen Sohnes, erste ideale Leserin, Groupie, Übermittlerin, Beraterin, Managerin, Sekretärin, Chauffeurin, Assistentin, Zerberus, Oberstleutnant, aber niemals, wie sie behauptete, sein Modell. Man könnte fast vergessen, daß Nabokov sie aus anderen als praktischen Gründen heiratete. Natürlich war es eine Jahrhundertliebe. In "Die Gabe" (1938), seinem letzten in Russisch verfassten Roman, schreibt Nabokov von der Heroine Sina, dass sie nicht nur "von einem gewissenhaften Schicksal geschickt und elegant für ihn nach Maß geschneidert war, sie waren vielmehr beide, einen gemeinsamen Schatten werfend, von einem Maß, das nicht recht fassbar, aber wundervoll war und gütig und sie vollständig umhüllte." Die Heirat findet 1925 in Berlin statt. Von nun an verbinden sich die beiden Monogramme V zu einer gemeinsamen Maske mit dem Ziel, das unnahbare, untadelige Monument, das künstlerische Kind ihrer Heirat zu schaffen: das Konstrukt VN. Wo hörte sie auf, wo fing er an? Beider Identitäten verschmelzen in diesem Kürzel zur autonomen, platonisch vollkommenen Einheit. Die Konstruktionselemente von Nabokovs Kunst bestimmen ihr geheiligtes Privatleben: Vexierspiel und Täuschung, Bezauberung und Magie, die dramatische Vorliebe für das Double und die Spiegelbilder, synästhetische Wahrnehmungen, Liebe zum Detail. Vor der Ehe hatte Véra selbstliterarische Ambitionen; man kann ihre Ehe auch als deren Realisation verstehen. Die Nabokovs kultivierten die Ehe zur Kunst, und die Kunst kultivierte ihre Ehe. Véra hatte bei der ersten Begegnung erkannt, dass Nabokov der größte Schriftsteller seiner Generation, ein Genie war. Dieser einfachen Wahrheit blieb sie ihr Leben lang treu, selbstsicher, ungebeugt, unbestechlich, als wolle sie Verluste, Katastrophen, Armut und Wirren wettmachen. Wenn diese Ehe für ihn Heimathafen war, so war sie für Véra Lebensweg. Nabokovs Primärerlebnis war das strahlende Paradies seiner privilegierten russischen Kindheit, aus dem er vertrieben wurde, das er sich aber als Bodensatz in seiner eigentlichen Heimat, der Dichtung, bewahren sollte. Véra tat alles, damit ihr Mann sich von der kruden Wirklichkeit befreien, in der Kunst seinen eigenen Kosmos schaffen konnte. Die Heirat führte zu einem kreativen Schub: von 1924/25, dem Wendepunkt in Nabokovs Schaffen, bis 1935 schrieb er acht Romane.

Véra Nabokov wurde oft mit verwirrtem Kopfschütteln bedacht. Unbestritten war ihre marmorweiße Schönheit. Sie wirkte wie ein russischer Barsoi, eine lebendig gewordene Zeichnung von Giacometti, eignete sich auch "hervorragend als Dekoration im Sessel". Sie machte das Mrs.-Nabokov-Sein zu einer Kunst, einer Wissenschaft. Als die öffentliche Seite ihres Mannes war sie als Muse des 20. Jahrhunderts wahrscheinlich die erste "mediale Frau" (Klaus Theweleit). Eine Biographie über sich hätte sie abgelehnt. Umso erfreulicher für die VN-Gemeinde, daß Sohn Dimitri alle Archive öffnete, darunter auch den Ehebriefwechsel und Véras Tagebücher. Schiff erzählt dieses Leben geistvoll und einfühlsam, vor allem versagt sie sich die große Versuchung der feministischen Hagiographie: rückblickend Nabokovs "ewiges Faktotum" (Boyd) als Opfer zu zerreden. "Es fiele schwer, über Véra zu schreiben", so der Zeichner Saul Steinberg, "ohne Vladimir zu erwähnen. Unmöglich aber wäre es, über Vladimir zu schreiben, ohne Véra zu erwähnen." So ist Schiffs Buch eine willkommene Ergänzung zu William Boyds monumentaler Biographie, deren erster Band diesen Sommer bei uns erschien. Wie ihr Mann entzog sich Véra jeder literarischen, politischen, persönlichen Einordnung: "Umgeben und geschützt von einem tiefen Meer aus nichts als leerem Raum steht sie da - das eine Ende einer leuchtenden Gedankenbrücke: klar wie der Tag, ganz vorn und ganz in der Mitte, in voller Sicht verhüllt." (Schiff)Stacy Schiff: Véra - Ein Leben mit Vladimir Nabokov. Kiepenheuer & Witsch, Köln 1999. 639 Seiten, 68 DM.

Egbert Hörmann

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