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Kultur: Dürers Locke, Sissis Schuh

Nicht nur zur Reisezeit: Eine Frankfurter Ausstellung feiert das Souvenir

Die goldene Haarlocke der Lucrezia Borgia oder ein Steinchen vom Grabe Napoleons. Sissis Kinderschuhe oder ein Haar aus dem Violinbogen des hobbymusizierenden Malers Jean-Auguste-Dominique Ingres. Der Maler Daniel Spoerri, ein leidenschaftlicher Sammler, der 1977 sein erstes „Musée Sentimental“ in Paris einrichtete und dort neben dem vermeintlichen Schlüssel zur Bastille und dem Totenbett van Goghs auch Ingres’ Violine zeigte, konnte nicht widerstehen und riss ein Haar aus dem Bogen.

Eine Ausstellung im Frankfurter Museum für Angewandte Kunst widmet sich nun den Souvenirs und Erinnerungsstücken quer durch die Jahrhunderte. Das beginnt mit religiösen Reliquien – Splitter vom Heiligen Kreuz, ein Modell des Heiligen Grabes in Jerusalem, Steinchen oder Olivenholz aus dem Heiligen Land. Pilgerzeichen waren europaweit beliebt – mehr als 130 000 Stück wurden allein im Jahr 1466 im Kloster Einsiedeln verkauft.

Ein gutes Geschäft, das Geschäft mit Verehrung und Erinnerung. Ob eine Mosaikvedute von der Grand Tour durch Italien oder eine Antikenkopie, wie sie sich auch Goethe ins Zimmer stellte, ob ein Plastikmodell des Eiffelturms als Schlüsselanhänger oder eine Schneekugel mit dem Brandenburger Tor – Erinnerungsstücke an Reisen und Erlebnisse finden sich zuhauf, in Massen produziert und massenweise aufbewahrt.

Es ist viel Kurioses in Frankfurt dabei, ein Etui für Visitenkarten aus dem 19. Jahrhundert zum Beispiel trägt eine elfenbeingeschnitzte Ansicht von Napoleons Grab auf St. Helena. Geschnitzt wurde das Memorialstück in China, die chinesischen Handwerker waren in der Orthografie nicht sicher und gruben „Tombeau de Nahobon“ ins Holz.

Ungleich anrührender dagegen das Grabmal der Magdalena Langhans. Als Johann August Nahl 1751 eine Grabstätte für die Pfarrkirche von Hindelbank in der Schweiz entwerfen sollte, verstarb überraschend die Pfarrersfrau im Kindbett. Der Bildhauer schuf ihr ein Denkmal, das die Auferstehende zeigt, wie sie mit ihrem Kind im Arm förmlich durch die Grabplatte bricht. Das ergreifende Kunstwerk wurde zur Pilgerstätte, die unbekannte Pfarrfrau zur romantischen Heldin, Goethe und Hirschfeld reisten an, Druckgrafiken und Repliken wurden als Souvenirs angeboten.

Erinnerungsstücke intimster Art boomen seit dem 18. Jahrhundert. Mütter geben ihren Töchtern als Andenken aus Haar geflochtene Ringe mit. Liebhaber verehren sie den Angebeteten. Von berühmten Toten werden Erinnerungsstücke wie Reliquien bewahrt – in Wien die Haarlocke Albrecht Dürers, in Bonn ein Haar Beethovens und ein Wandstück aus seinem Sterbezimmer. Werther hat einen regelrechten Kult betrieben um ein rosa Schleifchen seiner Lotte. Oft auch ist es ein Bildnis-Medaillon, gekoppelt mit einer Locke oder einer persönlichen Inschrift, dem die wehmütige Betrachtung gilt. Johann Gottfried Seume zum Beispiel erzählt in einem Brief an den Gatten seiner früheren Verlobten, wie ihm beim Aufstieg auf den Pellegrino bei Palermo ein Amulett dieser Frau aus der Hand und in den Abgrund fällt. „Ehemals wäre ich ihrem Bildchen nachgesprungen; auch jetzt noch dem Original.“

Was für ein wunderbares Thema zur Reisezeit. Zwei Jahrtausende Alltagsgeschichte ließen sich erzählen, anhand des Zusammenhangs von Kitsch und Kunst, privater Erinnerung und kommerziellem Kalkül. Ganze Altäre des Banalen werden mit Erinnerungsstücken errichtet. Auch ein fotografisch festgehaltener Blick auf Joschka Fischers Schreibtisch im Berliner Auswärtigen Amt, überladen mit einer Vielzahl von Reiseandenken aus aller Welt, spricht Bände. Der Mensch muss sammeln, offensichtlich.

Leider lässt die Präsentation in Frankfurt zu wünschen übrig: Man hat die einzelnen Ausstellungsstationen in die ständige Sammlung integriert, nur zart markiert durch einen goldenen Faden auf dem Boden. Ergebnis: Man findet die (zudem nur sehr zurückhaltend beschrifteten) Objekte kaum, ärgert sich über sprachliche Banalitäten wie „Wir changieren zwischen Park und Parkinson, Reisefrust und Reiselust“ und über den typografisch schlampig gestalteten Katalog. Auch die grammatikalisch gewollt falsche Betitelung „Der Souvenir“ wirkt modisch affig. Allein vier Kuratoren, daneben eine Vielzahl von Museumsmitarbeitern, haben an Auswahl und Texten mitgewirkt, unzählige Sammler ihre Schätze hergegeben. Das Ergebnis ist – ein Sammelsurium.

Der Souvenir, Museum für Angewandte Kunst Frankfurt, bis 29 Oktober. Katalog (Wienand Verlag) im Museum 30 Euro, im Buchhandel 39,90 Euro

Christina Tilmann

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