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Kultur: Edle Wilde Pariser Ausstellung über den Blick auf das Fremde

Als Ende des 15. Jahrhunderts die ersten Schiffe von Europa aus aufbrachen, um „einen neuen Himmel und eine neue Erde zu entdecken“ – so Kolumbus –, da fand man nicht nur neue Landschaften, sondern auch neue Menschen.

Als Ende des 15. Jahrhunderts die ersten Schiffe von Europa aus aufbrachen, um „einen neuen Himmel und eine neue Erde zu entdecken“ – so Kolumbus –, da fand man nicht nur neue Landschaften, sondern auch neue Menschen. Welche Bilder die europäischen Reisenden von den fernab der europäischen Zivilisation lebenden „Wilden“ in Amerika, Afrika und Ozeanien mit nach Hause brachten und wie sich der Blick auf den anderen, auf das andere historisch verändert hat – diese Frage steht im Zentrum der Ausstellung „D’un regard à l’autre“ im Pariser Musée du quai Branly (bis 21. Januar 2007, Katalog 49 €).

Die von Kurator Yves Le Fur zusammengestellten 600 Objekte – Bilder, Fotos, Masken, Skulpturen, Waffen, Tapisserien – zeigen eines deutlich: Europas Blicke oszillieren stets zwischen Faszination und Befremden. Der in der Renaissance einsetzende Doppelblick auf den Mythos des Wilden – animalische Kraft hier und paradiesische Unschuld dort – findet seine Fortsetzung bei Albert Eckhout, der 1641 eine brasilianische Ureinwohnerin als geradezu zarte Kannibalin zeigt. Die beiden dem „Wilden“ zugeschriebenen Attribute Animalität und Unschuld haben mit der Wirklichkeit freilich wenig zu tun. Beides sind Resultate europäischer Projektionen.

Es sind die artistes voyageurs, die den Europäern die Fremden als Bilder zurückbringen. Kein Seefahrer ohne Bildermacher an Bord. James Cook wird Ende des 18. Jahrhunderts einmal von William Hodges, einmal von John Webber begleitet. Beide vereinen in ihren Zeichnungen Porträtkunst und Wissenschaftlichkeit, bis im 19. Jahrhundert ein krasser Perspektivwechsel einsetzt. Das Zeitalter von Verwissenschaftlichung und Fotografie bricht an. Abschreckendes Beispiel sind die „Physiognomischen Aufnahmen für Anthropologen“, bei denen die Gesichts- und Skelettformen examiniert und die ursprünglich interessanten Fremden zu reinen Messobjekten degradiert werden. Es ist die Zeit des Kolonialismus.

Erst die moderne Kunst befreit die Eingeborenen Afrikas, Amerikas oder Ozeaniens von der Abwertung des 19. Jahrhunderts und gibt ihnen ihre menschliche Würde zurück. In den Werken der Expressionisten, Fauvisten, Surrealisten wird das Wilde rehabilitiert – und zugleich als antibürgerliche Speerspitze instrumentalisiert.

Tom Heithoff

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