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Edvard Munch: Verflixtes Weib, verruchte Stadt

Vier Jahre lang hat Edvard Munch in Berlin gelebt – nun steht ein Bild aus der Zeit zur Versteigerung. Mindestens 500.000 britische Pfund möchte Bonhams zum Einstieg sehen.

Stellt sich die Dame tot, um noch ein bisschen lasziver zu wirken? Die Augen geschlossen, den rechten Arm im schwarzen Haar vergraben, zieht Edvard Munchs nackte „Madonna“ seit 1895 die Blicke auf sich. Den schlecht gelaunten Embryo am unteren Bildrand vermag sie zwar nicht zu bezirzen. Die übrige Kunstwelt aber schaut fasziniert hin, denn ein handcolorierter und signierter Druck von Edvard Munch kommt nur alle Jahrzehnte auf den Markt.

Mindestens 500 000 britische Pfund möchte Bonhams deshalb zum Einstieg sehen, wenn das Blatt am 13. Juli im Londoner Auktionshaus versteigert wird. Es könnte aber auch viel mehr werden, was Sammler an diesem Tag zu zahlen bereit sind: Im gewichtigen Werk des norwegischen Malers, dessen Bilder den Expressionismus zugunsten der Moderne überwinden, spielen die 1890er Jahre eine zentrale Rolle. In diese Zeit fiel auch Munchs Berlinaufenthalt.

Im November 1892 eröffnete der Maler hier eine Ausstellung auf Einladung des Berliner Kunstvereins – die wenige Tage später wieder schließen musste, weil Akademiedirektor Anton von Werner und mit ihm ein Teil des Publikums die düsteren Sujets als Provokation empfanden. Munch blieb gelassen und entschied sich zum Bleiben. Der Skandal hatte ihn richtig bekannt gemacht und für Kontakte zur internationalen Kunstszene der Stadt gesorgt, die ihn bis zu seinem Umzug nach Paris 1896 beeinflusste. Ein Jahr davor signierte Munch die „Madonna“-Lithografie, die in kleiner Auflage in Berlin entstand. Eine Spur in die Vergangenheit und Anlass für Bonhams, die Stadt als Ort zur Vorbesichtigung überhaupt ins Auge zu fassen: Interessierte Sammler konnten das Bild einen Tag lang im Hotel Adlon besichtigen. Das Blatt selbst stammt aus dem privaten Nachlass des britischen Künstlers Frank Avray Wilson, der im vergangenen Jahr verstarb. Die übrigen Lithografien befinden sich längst in institutionellen Händen wie dem Munch Museum in Oslo oder dem Art Institute of Chicago. cmx

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