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Kultur: Ein 1848er

Sein Auftritt auf der Bühne der westlichen Öffentlichkeit machte Furore, weit über die historische Zunft hinaus.Ausgerechnet ein Historiker aus Ost-Berlin veröffentlichte eine monumentale Bismarck-Biographie.

Sein Auftritt auf der Bühne der westlichen Öffentlichkeit machte Furore, weit über die historische Zunft hinaus.Ausgerechnet ein Historiker aus Ost-Berlin veröffentlichte eine monumentale Bismarck-Biographie.Dabei war der Autor, Ernst Engelberg, beileibe kein Dissident, sondern Kommunist, SED-Mitglied, renommiertes Mitglied des wissenschaftlichen DDR-Establishments.Aber auch der gut Achthundert-Seiten-Wälzer, mit dem Engelberg die erste Hälfte dieses Lebens beschrieb - er hieß Bismarck als "Urpreuße und Reichsgründer" - war keineswegs eine Abrechnung, sondern eine erstaunlich verständnisvolle Biographie, die sich nicht zuletzt mit großer Aufmerksamkeit in das Wurzelwerk von Herkunft und Lebensweg vertiefte.Im Jahr des Erscheinens, 1985, in dem die deutsch-deutschen Querelen noch in voller Blüte standen, war das fast ein Politikum: Bedeutete das Buch, daß die DDR sich etwa im Wettstreit um das historische Erbe der Deutschen nun auch der preußischen Geschichte bemächtigen wollte?

Es kam hinzu, daß das Buch im Westen auf eine historisch verunsicherte Öffentlichkeit traf.Die Intellektuellen meditierten zunehmend über Konzepte, die die deutsche Zweistaatlichkeit rechtfertigen sollte, unter den Historikern wuchs die Neigung, das Bismarck-Reich von 1871 als Fehlentwicklung abzutun, und das Publikum lechzte nach erzählender Geschichtsschreibung, weil es der komplizierten, theorielastigen Werke der neueren deutschen historischen Schule müde war.

Da kam Engelberg gerade recht, und man konnte Minister der damaligen konservativ-liberalen Bundesregierung dabei überraschen, wie sie das Lob des kommunistischen Geschichtsschreibers sangen - nicht ohne selbstquälerische Gedanken über die Unfähigkeit der westdeutschen zu einem positiven deutschen Geschichtsbild.Doch Engelbergs Buch transportierte keine politische Konterbande.Der Historiker beteuerte immer wieder, daß kein Parteibeschluß ihn zu seinem Buch hatte bewegen müssen; er habe seit zwanzig Jahren an ihm gearbeitet.Was aber die Bismarck respektierende Tendenz anging - obwohl er doch, wie Engelberg versicherte, "von der Gegenposition" kam -, so dokumentierte sie eine Verkehrung der Haltungen, die selbst ein Stück Geschichte war.

Denn der DDR-Historiker Engelberg, im Schwarzwald geboren, an der Berliner Universität wissenschaftlich sozialisiert und als Student Kommunist geworden, stand viel selbstverständlicher in der Überlieferung der Nationalgeschichte als vor allem seine jüngeren westdeutschen Kollegen.Es war vermutlich gerade sein schlichter, die Geschichte nach der Maßgabe von Fortschritt und Rückschritt traktierender Marxismus, der ihn Bismarck und die Reichsgründung in einem Lichte sehen ließ, das auch traditionelle Leser erwärmte.Den Rest besorgten sein liebenswürdiges Erzähltalent und seine echte, also unerschöpfliche historische Neugierde.Weder sein Schicksal - Verurteilung wegen Hochverrat im Dritten Reich, dann Emigration in die Schweiz und die Türkei - noch die jahrzehntelange Existenz im Elfenbeinturm der marxistisch imprägnierten Geschichtswissenschaft haben ihm das abnehmen können.Verdankte sich das der radikalen badischen Liberalität, dieser 1848er- Gesinnung, in der er als Sohn eines kleinen Zeitungsverlegers aufgewachsen ist und von der der kleine, lebendige Mann noch immer etwas ausstrahlte? Der zweite Band der Bismarck-Biographie erschien 1990, also schon zu einer Zeit, als die Geschichte die Geschichtsschreiber überholte.Was folgte, hat Engelberg in seinem lebenslangen Glauben nicht irre machen können; er hält treu zur PDS.Die "Eigenart und den Ernst deutscher Geschichte" sollte sein Bismarck-Werk besser erkennen lassen, hat er im Vorwort des zweiten Bandes geschrieben; er kann für sich in Anspruch nehmen, der noblen Absicht gerecht geworden zu sein.- Am Ostermontag wird Ernst Engelberg 90 Jahre alt.

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