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Kultur: Ein Botentanz

Liebe und Moral des „Goldenen Zeitalters“: Pieter de Hooch in der Hamburger Kunsthalle

Was waren das noch für Zeiten, als Boten Liebesbriefe überbrachten und die Empfängerinnen scheu lächelnd, ja errötend vom Burschen solche Botschaften entgegennahmen. Die Frankfurter Schirn knallte prompt den Begriff „e-mail“ quer über eine dieser zarten Briefeschreiberinnen des 17. Jahrhunderts, um auf ihre große Niederländer-Schau aufmerksam zu machen. Die Hamburger Kunsthalle, nun die Nächste im Bunde der Veranstalter der Frühjahrsausstellungen zum „Goldenen Zeitalter“, hält sich hanseatisch kühl von solchen Marketing-Tricks fern. Sie gibt sich bescheiden, indem sie vor allem ein Gemälde ins Zentrum rückt: „Der Liebesbote“ (um 1670) von Pieter de Hooch. Zu diesem Werk aus eigenem Bestand stellt sie höchst exquisit vier weitere Bilder aus dem Pariser Louvre, der Sammlung Thyssen-Bornemisza in Madrid, dem Kölner Wallraf-Richartz-Museum sowie dem Musée des Beaux-Arts in Straßburg und hat damit auch schon die in Deutschland bislang größte Ausstellung des Rotterdamer Malers beisammen.

Die Schau im Kuppelsaal ist kein Museumsschwergewicht – und doch ein Paradebeispiel, wie mit dem eigenen Pfund zu wuchern ist. Zwei Jahre hat das 57 mal 53 Zentimeter große Gemälde in den Restaurierungswerkstätten zugebacht. Die Kunsthalle zelebriert nun die Wiederkehr, denn de Hooch (1629 bis 1684) gehört neben Vermeer zu den bedeutendsten holländischen Interieurmalern. Von ihm sind nur knapp 100 Bilder überliefert. Gereinigt vom Firnis treten nun Details zutage, wahrhaft eines Feinmalers würdig, als der de Hooch gilt: der seidige Glanz des gelben Kleides, die Reflektionen auf dem Silberbesatz der Botenjacke, die hauchzarten Übergänge von Licht und Schatten in einem Innenraum, den nur eine geöffnete Tür erhellt.

Trotzdem enttäuscht die insgesamt dunkle Erscheinung im Vergleich zu den anderen Werken de Hoochs. Für ihre Ausstellungsplakate setzte die Kunsthalle deshalb kräftig Aufheller ein, denn noch immer ist das vom langen Haar verhangene Gesicht des Liebesboten kaum zu erkennen. Nicht zufällig, denn die Hauptrolle spielt hier das Papier in seiner Hand, das er mit bravem Diener der aus sich selbst leuchtenden jungen Frau entgegenhält. Fast erinnert die Szene an Mariä Verkündigung, so scheu mit ihrem leicht geneigten Kopf, so lieblich mit dem Schoßhund in der einen, dem gerafften Kleidersaum in der anderen Hand erscheint die Empfängerin.

Dabei konnte de Hooch auch anders. Die „Weintrinkende Frau inmitten zweier Männer“ (1658) und das „Paar mit Papagei“ (um 1675) zeigten dem Betrachter des 17. Jahrhunderts feine Frivolitäten. Noch dreieinhalb Jahrhunderte später ist die erotische Spannung spürbar, auch wenn die Weintrinkerin nur kokett die Schuhspitze hebt oder die Dame vor dem geöffneten Vogelbauer mit dem Finger über den Glasrand fährt. In der Schwebe bleibt dabei, ob der Künstler selbst solche Ausschweifungen verdammt. Moral kommt dennoch ins Spiel, auch schon beim „Liebesboten“: Geradewegs über seinem Haupt hängt im Empfangsraum des Bürgerhauses ein Gemälde, das nach der jüngsten Reinigung deutlich erkennbar eine Verführung zeigt. Eine kleine Delikatesse am Rande ist der deutlich sichtbare Namenszug de Hoochs im Türrahmen. Wollte der Sohn eines Ziegelbrenners auf diese Weise das großbürgerliche Haus als sein eigenes Heim deklarieren? Oder warnte sich der Vater von sieben Kindern am Ende selbst vor den Gefahren des Liebeswerbens?

Die in diesen Wochen boomende Kunst des 17. Jahrhunderts besitzt für den heutigen Betrachter immer auch den Reiz des Rätselspiels. Ganz lässt sich die Bedeutung jener Fingerhaltung oder dieser wie beiläufig am Boden liegenden Spielkarte eben nicht erschließen. Verbunden mit der detailversessenen Peinture erscheinen uns die Protagonisten zugleich nah und doch so fern. Die Hamburger Kunsthalle weiß um die Entdeckerlust des Betrachters. Sie packte den Ausstellungskatalog in lauter Leporellos aufgeteilt in eine Holzkiste en miniature, wie sie sonst zur Verfrachtung großer Gemälde zum Einsatz kommt. Auf diese Weise kann jeder selbst sein Schatzkästlein öffnen, wenn er schon keinen Liebesbrief mehr empfängt.

Kunsthalle Hamburg, bis 26. Juni. Katalogkiste 9,80 Euro.

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